: Kein Entrinnen für Bayerns Frauen
■ Die Abtreibung in Baden-Württemberg wird einer Bayerin von der Krankenkasse nicht erstattet. In einem jetzt bekanntgewordenen Brief fordert das bayerische Sozialministerium, Ärzte nur nach dem Sondergesetz zu bezahlen
München (taz) – Bayerische Frauen werden jetzt bei Abtreibungen offenbar über die Landesgrenzen des Freistaats hinweg kontrolliert. So hat eine Frau, die von der AOK Miesbach bereits eine Zusage der Kostenübernahme erhalten hatte, ihre Abtreibung nicht bezahlt bekommen, obwohl der Eingriff in Baden-Württemberg vorgenommen wurde. Darüber hinaus fordert in einem jetzt bekanntgewordenen Brief von Ende September das bayerische Sozialministerium alle bayerischen Krankenkassen auf, Abtreibungen nur noch zu bezahlen, wenn sie dem bayerischen Sondergesetz zum Paragraphen 218 entsprechen.
Die Frau hatte sich eine Spezialpraxis in Ludwigsburg ausgesucht und für die Übernahme der Kosten einen Antrag an die zuständige AOK in Miesbach gestellt. Dort wurde der Antrag bearbeitet und zunächst auch genehmigt. Darauf fuhr sie nach Baden-Württemberg und ließ den Eingriff vornehmen. Nach der Abtreibung jedoch wies die AOK Miesbach die Rechnung des Ludwigsburger Arztes zurück. Seine Praxis entspreche nicht dem bayerischen Sondergesetz.
Dieses Sondergesetz tritt zwar erst am 1. Juli 1997 in Kraft. Doch auch in Bayern selbst sind Zahlungsverweigerungen von Krankenkassen bereits an der Tagesordnung. Nach diesem Gesetz muß der Arzt Gynäkologe sein und darf nicht mehr als 25 Prozent seiner Einnahmen aus Schwangerschaftsabbrüchen beziehen. Danach unzulässige Schwangerschaftsabbrüche können mit einem Jahr Haft bestraft werden.
Seit dem 1. Oktober – nach der schriftlichen Intervention des Sozialministeriums – weigern sich nun mehrere Krankenkassen, bayerischen Spezialärzten die Schwangerschaftsabbrüche zu erstatten. Der bekannte Abtreibungsarzt Friedrich Stapf macht seither Außenstände von 70.000 Mark geltend. Damit liegt der Verdacht nahe, daß die Einrichtungen in Bayern, die auf Abbrüche spezialisiert sind, noch vor Inkrafttreten des Gesetzes im nächsten Jahr ausgehungert werden sollen.
Auch ging man bisher davon aus, daß die bayerischen Sondergesetze zum Paragraphen 218 die Frauen zu Abtreibungen außer Landes treiben sollten, um damit die bayerischen Statistiken zu bereinigen. Sollte das Vorgehen der AOK-Krankenkasse in Miesbach jedoch Schule machen, gäbe es endgültig zweierlei Recht in Deutschland. Bayerische Frauen, die nach dem Bundesgesetz die Abtreibung nicht selbst bezahlen müssen, könnten dann nicht einmal mehr in Spezialeinrichtungen anderer Bundesländer ausweichen. Sie müßten den Abbruch bei einem Arzt vornehmen lassen, der den bayerischen Sonderregeln genügt.
Diese Vorschriften bedeuten aber das Aus für die beiden großen bayerischen Spezialpraxen, in denen heute mehr als die Hälfte aller Abbrüche in Bayern vorgenommen werden. Die bayerischen Frauen sind also wieder auf Gynäkologen angewiesen, die gelegentlich abtreiben und nicht über ausreichende medizinische Routine verfügen. In den Spezialpraxen dagegen wird die schonende Absaugmethode angewandt. Komplikationen gibt es nur selten.
Die betroffenen bayerischen Ärzte haben inzwischen die Kassen auf Zahlung verklagt. Sie haben außerdem in dieser Woche das Bundesverfassungsgericht angerufen. Es soll prüfen, ob das bayerische Sondergesetz zulässig ist. Daniela Weingärtner
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