: Landesbischof ergreift Partei für Flüchtlinge
■ Evangelische Kirche kritisiert Senat: „Verantwortliche kennen Situation in Exujgoslawien nicht.“ Es sei falsch, Kriegsflüchtlinge zur Rückkehr zu drängen
Die Praxis des Senats, bosnische Flüchtlinge mit massivem Druck zur Rückkehr zu veranlassen, ist gestern von der evangelischen Kirche von Berlin-Brandenburg kritisiert worden. „Ich habe nicht den Eindruck, daß diejenigen, die in Berlin Entscheidungen treffen, sich die Situation vor Ort angesehen haben“, sagte Landesbischof Wolfgang Huber nach seiner Rückkehr aus Exjugoslawien. Die Stadt drohe ihr Ansehen zu verspielen, das sie mit der Aufnahme besonders vieler Flüchtlinge erworben habe.
Bischof Huber war gemeinsam mit der Ausländerbeauftragten des Bundes, Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP), durch Kroatien und Bosnien-Herzegowina gereist. „Eine massenweise Rückführung der Flüchtlinge aus Deutschland würde die Aufbaubemühungen gefährden“, faßte Schmalz-Jacobsen ihre Eindrücke zusammen. „Massenweise“ bedeute aus dem Blickwinkel eines zerstörten Dorfes schon die Rückkehr von zehn Familien, die den sozialen Frieden gefährden könnten. Aus der Sicht eines Bundeslandes mit 36.000 Flüchtlingen, wie Berlin, stellten diese Menschen jedoch nur eine kleine Zahl dar.
Im Unterschied zum Nachkriegsdeutschland seien in Bosnien die Dörfer massiv zerstört. Ein Geisterdorf grenze an das andere, es fehle an Arbitsplätzen. Gleichwohl, so die FDP-Politikerin, müsse mit der Rückkehr der Bosnier begonnen werden. Aber dies dürfe nicht mit Zwang erfolgen. Die Rückführbemühungen müßten mit den Helfern vor Ort abgestimmt werden. „Ich möchte nicht, daß Leute zurückgeschickt werden und dann hilflos durch das Land irren oder vor der deutschen Botschaft herumhängen.“
Währenddessen ergab eine parlamentarische Anfrage der PDS- Fraktion an Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU), daß die Debatte um Ausgaben für die Kriegsflüchtlinge mit manipulierten Zahlen geführt wurde. Offenbar wurden im vergangenen Jahr rund 300 Millionen Mark weniger ausgegeben, als bisher öffentlich dargestellt. Nach Angaben der Gesundheitsverwaltung wurden 1995 insgesamt 500 Millionen Mark an Leistungen – einschließlich Unterbringungs- und Krankenhausbehandlungskosten – aufgewandt. Die Senatsinnenverwaltung hatte dagegen von 800 Millionen Mark an „direkten und indirekten Sozialleistungen“ gesprochen.
„Die Aufsplittung in direkte und indirekte Kosten ist dem Senat nicht bekannt“, wie Senatorin Beate Hübner (CDU) mitteilte. Somit könne auch die als „indirekte“ Sozialleistungen bezeichnete Summe in Höhe von 300 Millionen Mark „nicht nachvollzogen werden“. Marina Mai
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