Der Volksdecoder

■ Technische Gründe behindern das digitale Fernsehen in Deutschland. Ein neuer Mikrochip soll Decoder verbilligen

13.000 Decoder sind schon unters Volk gebracht, so die offiziellen Zahlen der Kirch-Gruppe. Von 200.000 Digital-TV-Kunden in Deutschland zum Jahresende ist längst auch in Unterföhrung nicht mehr die Rede. Dort gibt DF 1- Sprecher Nikolaus von der Decken mittlerweile unumwunden zu, daß diese Zahlen zu euphorisch waren. Schuld daran sei die Telekom, die mit der Digitalisierung ihrer Kabelnetze nicht schnell genug nachkomme. So seien bis heute nur die Satellitenhaushalte in Deutschland überhaupt dazu in der Lage, digitales TV zu empfangen. Erst zum Jahresende will die Telekom die Digitalisierung ihrer Kabelnetze zu 95 Prozent abgeschlossen haben. Für Kirchs DF 1 gerade noch rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft, um endlich durchstarten zu können.

Doch diese Hoffnung dürfte trügen, denn auch wenn die Telekom ihre Netze aufrüsten sollte, ist damit noch längst nicht garantiert, daß das digitale Signal auch aus der Kabelsteckdose kommt. 70 Prozent der deutschen Kabelhaushalte bekommen ihr Signal nämlich nicht vom Börsenneuling, sondern von kleineren Netzbetreibern, die vor allem Siedlungen und Mehrfamilienhäuser versorgen. „Das sind zum Teil Häuser mit acht Wohnungen, die vor ein paar Jahren mal in eine Kabelanlage investiert haben“, beschreibt Helmut Stein, stellvertretender Forschungschef bei Nokia, die Situation. „Wenn jetzt ein Mieter gern digital sehen will, muß der Hausbesitzer für Tausende Mark sein ganzes Kabelnetz überarbeiten.“ Fachleute von „premiere“ rechnen mit einem zusätzlichen Nachrüstungsaufwand pro Kabelhaushalt von mindestens 500 Mark.

Ein anderer kostenträchtiger Hemmschuh für den Durchbruch des digitalen Fernsehens ist der hohe Preis der Kirchschen „d-box“. „Und der ist schon subventioniert“, so Helmut Stein vom Hersteller Nokia. Forderungen der ARD, einen total abgespeckten, später aber aufrüstbaren Decoder auf den Markt zu bringen, um die Einstiegsschwelle für die Zuschauer niedrig zu halten, hält Stein für undurchführbar: „Die Bauelementelieferanten sind schlicht und einfach nicht dazu in der Lage, es billiger zu machen. Und wenn die ARD sagt: ,Wir lassen einfach das Conditional Access usw. weg‘, dann bringt das vielleicht ein Einsparpotential von fünf Prozent oder – ich bin mal ganz mutig: zehn Prozent.“

Das sieht man innerhalb der ARD anders. Nach Angaben von Karl Breithaupt, dem Technischen Direktor des SDRs, stehen die Rundfunkanstalten mit verschiedenen Herstellern in Kontakt, um eine billige Set-Top-Box auf den Markt zu lancieren. Gestützt werden sie aus England, wo ähnliche Forderungen von seiten der TV- Veranstalter aufgekommen sind. Schon bei der Einführung des Satellitenfernsehens kam mit Amstrad der Preisbrecher für die neuen Geräte aus England.

Auch von seiten der Chiphersteller gerät Nokia in Bedrängnis. Texas Instruments kündigte bereits an, eine neue Generation von Chips auf den Markt zu bringen, auf denen die gesamte Elektronik der Set-Top-Boxen untergebracht sei – mithin eine Art Volksdecoder. In den USA tobt schon jetzt ein Preiskampf zwischen den verschiedenen Digital-TV-Anbietern. Decoder mit Satellitenschüssel werden inzwischen verramscht wie hierzulande die Handys.

Generell müssen die Decoderpreise deutlich sinken, denn inzwischen gibt es auch in Hongkong, Indonesien und Thailand Digitalfernsehen nach dem europäischen DVB-Standard – nicht unbedingt Länder, in denen die Kaufkraft der Konsumenten für luxuriös ausgestattete Decoder ausreicht.

Obwohl die meisten Analysen sehr nüchtern ausfallen, rechnet DF 1-Sprecher von der Decken weiterhin mit „drei Millionen Abonnenten bis Ende des Jahres 2000“. Dabei bekommen die Deutschen schon jetzt soviel frei empfangbare Fernsehprogramme wie kein anderes Land in Europa, und auch die Zahl der Spielfilmstunden pro Jahr liegt mit mehr als achttausend pro Jahr drei- bis viermal so hoch wie in den Nachbarländern.

Dennoch hat das digitale Fernsehen in Deutschland schon aus technischen Gründen Zukunft. Zur Jahrtausendwende nämlich werden die ersten Satelliten der Astra 1-Baureihe flügellahm. Sobald ein Astra-Satellit ausfällt oder auch nur einzelne Transponder, werden die Programme auf die Reservesatelliten verlagert. Eine Weile mag da noch genügend Kapazität frei sein, zumal die Pay-TV- Sender aus anderen europäischen Regionen wie etwa Skandinavien gerade die analogen Astras A-D räumen und komplett digital senden. Ab 2006 wird dann aber die Ära des analogen Fernsehens wohl endgültig vorbei sein. Aber bis dahin sind aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Decoder-Chips zu erschwinglichen Billigartikeln geworden, wie die Erfahrung bei den PAL/Secam-Decodern in der Frühzeit des europäischen Farbfernsehens zeigt. Jürgen Bischoff