: "Nicht um den Elitebegriff herumschleichen!"
■ Peter Glotz ist seit November Gründungsrektor der Universität Erfurt. Ein Gespräch über Studiengebühren, Evaluation, den Kanzler und neue Selbständigkeit
taz: Herr Glotz, Sie haben kürzlich nicht nur eine RTL-Talkshow übernommen, sondern auch das Rektorat an der neu zu gründenden Universität Erfurt. Sind Sie eine Art Talkmaster der Hochschuldebatte?
Peter Glotz: In der Hochschulpolitik bin ich gewiß kein Talkmaster. Schon als Abgeordneter war ich publizistisch tätig, und das werde ich auch als Rektor sein. Das Zentrum meiner Arbeit liegt jedoch hier in Erfurt.
Hätten Sie auch Rektor in Erlangen oder Würzburg werden können?
Nein, sicher nicht. Es hat mich gereizt, in Erfurt etwas angehen zu können, was ich in meinem Buch über die Hochschulen an Thesen entwickelt habe. Und nur an einer neuen Universität kann man auch etwas Neues machen.
In Ihrem Buch „Im Kern verrottet? Fünf vor zwölf an Deutschlands Universitäten“ präferieren Sie einen Wettbewerb unter den Hochschulen. Was werden Sie von Erfurt aus ins Rennen schicken?
Wir stecken noch zu sehr in den Anfängen, um die Frage beantworten zu können. Was wir einbringen können, ist der Versuch, das Projekt Geisteswissenschaften als Kulturwissenschaft, den kulturalistischen Aspekt, neu zu definieren. Wir wollen neue Studiengänge wie Kulturwirtschaft und Informationsmanagement erproben. Für die Studienorganisation planen wir die Einführung von credit points, die von Seminararbeit zu Seminararbeit ähnlich wie in der gymnasialen Oberstufe erworben werden können.
Das betrifft die Leistungsanforderungen an die Studenten. Was verstehen Sie unter einem Wettbewerb der Universitäten untereinander?
Erfurt soll eine attraktive Universität werden. Ich denke da an das Stichwort Evaluation. Was ist eine gute Lehre, und wie kann man ihre Qualität feststellen?
Glauben Sie, daß der deutsche Lehrkörper darauf eingerichtet ist, sich kontrollieren und bewerten zu lassen?
Nein, das ist er ganz sicher nicht. Wir müssen aber eine Tradition schaffen, die Lehrende erzeugt, die bereit sind, sich diesen Aufgaben und Experimenten zu stellen. Ich brauche keine 6.000 Professoren, sondern 50. Wir müssen eben die auswählen, die es nicht als Unverschämtheit betrachten, wenn ein Student einen Fragebogen über die Qualität seiner Vorlesung ausfüllt.
Planen Sie, als jemand, der selbst in der Unterhaltungsbranche des Fernsehens arbeitet, die Einführung des Starsystems in den Hochschulbereich?
Ohne Zweifel braucht die Universität charismatische Persönlichkeiten. Man braucht Einzelgänger, die von den anderen auch akzeptiert werden. Solche Persönlichkeiten waren Karl Jaspers in den 50er Jahren und später Ralf Dahrendorf und Jürgen Habermas. Man darf eine Universität allerdings nicht aus lauter Charismatikern zusammensetzen wollen. Es braucht eine gute Mischung, eine Atmosphäre jedenfalls, in der Charismatiker nicht als Spinner und Promis abgetan werden.
Das betrifft die Voraussetzungen, daß Studenten auf eine Universität neugierig werden. Sie haben sich aber auch dafür stark gemacht, daß sich Universitäten in Zukunft ihre Studenten selbst aussuchen können.
Sie können viele Dinge nicht für eine Universität allein realisieren. Um die Zulassung zum Studium zu verändern, müßte ja das ganze System der ZVS [Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen; d.Red.] verändert werden. Dazu bedarf es gesetzlicher Regelungen. Ich halte grundsätzliche Überlegungen dieser Art allerdings für richtig.
Ihre Parteigenossin Anke Brunn, die Bildungsministerin von Nordrhein-Westfalen, ist da aber ganz anderer Meinung.
Mit Frau Brunn habe ich manche gemeinsame Auffassung, aber auch manche Kontroverse. Was die Zulassung betrifft, will sie alles beim alten belassen. Da trifft sie sich mit Hans Zehetmair von der CSU. Ich glaube nicht, daß diese Politik richtig ist.
Ein anderer Streitpunkt ist Ihre Forderung nach der Einführung von Studiengebühren. Sinnvoll können Studiengebühren in Höhe von 1.000 Mark pro Student pro Semester doch allenfalls sein, wenn sie die Chance auf ein qualitatives Studium steigern, das am Arbeitsmarkt entsprechend angenommen wird.
Garantien für den Arbeitsmarkt kann kein Mensch geben. Garantiert werden muß die Stundung von Studiengebühren, wenn die Absolventen später keinen Job finden. Wer keine Arbeit findet, muß auch nicht zurückzahlen. Man muß funktionsfähige Finanzierungssysteme entwickeln. Die Studenten sollen natürlich nicht noch mehr zum Jobben getrieben werden. Wir brauchen außerdem eine Bafög-Reform. Es muß darauf geachtet werden, daß sich die Schulden nicht zu 80.000 Mark und mehr summieren. Es gibt Grenzen. Eine Verschuldung bis 50.000 Mark für die eigene Ausbildung halte ich allerdings für erträglich. Für ihre Eigenheime verschulden sich Menschen sehr viel höher.
Sie verletzen damit ein Tabu sozialdemokratischer Bildungspolitik. Schließlich war diese in den 70er Jahren recht erfolgreich mit der Öffnung der Hochschulen für sozial schwächere Schichten.
Gelegentlich muß man Tabus verletzen. Neue Regelungen dieser Art müssen natürlich mit einem vernünftigen Stipendiensystem kontrolliert werden. Ich habe vorgeschlagen, einen Teil der Einnahmen aus zukünftigen Studiengebühren der Begabtenförderung zukommen zu lassen. Alle Begabtenförderungen zusammen geben derzeit etwa 100 Millionen Mark aus. Erhöht man diese Summe auf etwa 400 Millionen Mark, dann können alle, die gefördert werden sollen, auch gefördert werden. Man wird auf Dauer, wie in vielen anderen Bereichen auch, nicht ohne Gebührenbeteiligung der Betroffenen auskommen können. Ich halte es für einen Irrglauben, Universitäten alleinstaatlich finanzieren zu können.
Sie werden sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, eine neue Form der Elitenuniversität etablieren zu wollen.
Ich halte nichts davon, lange um den Elitebegriff herumzuschleichen. Die Art von Elite, die durch Gebühren erzeugt wird, die will ich nicht. Ich will keineswegs, daß nur die Töchter von Oberstudienräten an den Hochschulen reüssieren können. Aber man muß sich ein paar Lebenslügen abschminken. Die Universität ist auch heute keine Veranstaltung, auf der sich die Arbeiterkinder nur so überschlagen. Die bisherige Öffnung war eine für die unteren und mittleren Teile des deutschen Bürgertums. Es gibt außerdem eine durch den Nationalsozialismus erzeugte Angst vor dem Elitebegriff, „hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder“, das will ich ebenfalls nicht. Aber man darf nicht drum herum reden, daß es erstklassige, exzellente, mittelmäßige und schlechte Professoren, Assistenten und Studenten gibt. Eine Universität sollte darauf achten, von jeder Sorte nach Möglichkeit die guten zu haben. Es ist mir wurscht, ob Sie das Elite nennen.
Es scheint aber in der Tat ein Elitenproblem zu geben. Das Wort von den „Nieten in Nadelstreifen“ ist in aller Munde. Sie haben selbst einmal den Begriff von den „planlosen Eliten“, einer gewissen Verantwortungslosigkeit der Funktionseliten, verwandt. Ist die Universität der Ort, an dem das Elitenproblem gelöst werden kann?
Das ist sie derzeit ganz sicher nicht. Die Universität könnte sehr viel mehr der Knotenpunkt der Elitendiskussion sein. Die Universität darf sich allerdings auch nicht übernehmen. Sie repräsentiert eine von vier Eliten, nämlich die wissenschaftliche. Daneben gibt es wirtschaftliche, politische und kulturelle Eliten, für die kann die Universität nicht sprechen. Das Hauptproblem der deutschen Eliten ist die Kommunikationsunfähigkeit untereinander. Ein vernünftig organisierter Technologierat könnte beispielsweise sehr viel dazu beitragen, aber auch das Gespräch mit den Gewerkschaften und nicht nur der Austausch mit dem Vorstand von Daimler-Benz.
Die Universität scheint momentan aber nicht gerade der Ort zu sein, von dem Innovationen ausgehen können.
Das hat viele Gründe, zu denen auch die Universität beiträgt. In den USA gründet jemand eine eigene Firma, wenn er den Eindruck hat, seine Begabung könnte verfallen. Das ist bei uns anders. Zum einen ist der Sozialstaat ein Netz, in das man sich fallen lassen kann. Es herrscht eine Mentalität vor, die danach verfährt: Bevor ich eine eigene Firma gründe, warte ich erst einmal ab, ob ich nicht eine halbe BAT-IIa-Stelle an der Universität Aachen bekomme. Die Verbindung von Wirtschaft und Wissenschaft ist bislang nur an einzelnen Instituten selbstverständlich. Die Gründerstimmung fehlt auch gesellschaftlich. Dafür kann man die Universität nicht haftbar machen. Die Idee, einen eigenen Laden zu gründen und groß zu machen, ist in Europa unterentwickelt.
Da stimmt Ihnen auch der Bundeskanzler zu, der gern eine Neue Selbständigkeit propagiert.
Der Kanzler hat das von mir übernommen, sage ich mal unbescheiden. Ich habe das vor drei Jahren in meinem Buch mit Uwe Thomas formuliert. Ich finde es wunderbar, daß auch Kohl so denkt. Jetzt muß aber auch etwas passieren. Zum Redenrepertoire von Lafontaine bis Rüttgers, von Scharping bis Kohl gehört das längst. Jetzt muß es in die Gesetzgebung eingehen. Das Insolvenzrecht muß geändert werden. Versicherungen muß die Möglichkeit gegeben werden, ihr Geld für Risikokapital, venture capital, auszugeben. Es ist ja schon verräterisch, daß man das in Deutschland Risikokapital nennt. Wir haben kein Denkdefizit, sondern ein Vollzugsdefizit.
Das Elend der Universitäten wird Jahr für Jahr wortgewaltig zum Semesterbeginn im „Stern“ oder „Spiegel“ beschrieben. Glauben Sie, daß sich seit Ihrem Buch und einigen anderen Veröffentlichungen etwas geändert hat?
Die Diskussion hat sich im letzten halben Jahr erhitzt. Die kommunikativen Voraussetzungen für Veränderungen sind tatsächlich besser. Ob das eine Wirkung hat wie einmal Georg Pichts Buch von der „Bildungskatastrophe“, sehe ich zunächst mit Skepsis.
In der Sparklausur des Berliner Senats wurden dem Kulturhaushalt für die nächsten Jahre 100 Millionen Mark gestrichen, dem Wissenschaftssenat 150 Millionen Mark. Der Protest aus dem Kulturbereich war deutlich zu vernehmen. An den Unis blieb es eher still.
Das hat damit zu tun, daß die Wissenschaft nicht so gut organisiert ist. Ich kann den Wissenschaftlern nur raten, sich die Reizthemen zu suchen, an die man Proteste knüpfen kann.
Dann braucht man letztlich also doch Moderatorenqualitäten?
Man muß in der Öffentlichkeit bestimmte Themen anschlagen. Ich behaupte nicht, daß Studiengebühren das wichtigste Thema der Hochschulpolitik sind. Bildungspolitiker, die mehr Geld für Bildung fordern, gibt es wie Sand am Meer. Wenn ich so etwas gesagt hätte, so wären mir vielleicht Blumen gestreut worden, aber man hätte mich nicht diskutiert. Interview: Harry Nutt
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