: Unionisten streiten über den Umgang mit Sinn Féin
■ In Nordirland geht das Gerangel über die Bedingungen weiter, unter denen sich die IRA-nahe Partei an den Friedensgesprächen der Parteien beteiligen darf
Dublin (taz) – Die Bundesstaatsanwalt in Karlsruhe hat vorgestern abend in London einen Auslieferungsantrag für die 25jährige Róisin McAliskey gestellt. Sie soll an dem Anschlag auf die britische Kaserne in Osnabrück im Juni beteiligt gewesen sein, bei dem niemand verletzt wurde. McAliskey wurde bereits am vorigen Mittwoch festgenommen und sitzt seitdem in Auslieferungshaft im Belfaster Verhörzentrum Castlereagh.
Róisin McAliskey ist die Tochter von Bernadette McAliskey, einer Mitbegründerin der nordirischen Bürgerrechtsbewegung Ende der sechziger Jahre. 1969, als sie noch Devlin hieß, wurde sie als jüngste Abgeordnete ins Londoner Unterhaus gewählt. Zu ihren Anhängern zählte der heutige US- Präsident Bill Clinton, der damals in Oxford studierte. 1981 wurden Bernadette McAliskey und ihr Mann Michael bei einem Anschlag eines loyalistischen Mordkommandos schwer verletzt. In den letzten Jahren hat McAliskey den nordirischen Friedensprozeß und die Mehrparteiengespräche wiederholt als „Täuschungsmanöver“ bezeichnet und die Sinn-Féin-Führung wegen ihrer Teilnahme daran heftig kritisiert. Gleichzeitig forderte sie die IRA auf, die Waffen niederzulegen, um eine breite Strategiediskussion der irischen Linken zu ermöglichen.
Die Mehrparteiengespräche sind am Montag nach mehrwöchiger Pause wiederaufgenommen, jedoch schon nach zwei Stunden abgebrochen und auf heute vertagt worden. Man will die Antwort des britischen Premierministers John Major auf eine Initiative von Sinn- Féin-Präsident Gerry Adams und dem Vorsitzenden der Sozialdemokraten, John Hume, abwarten. Die Initiative zielt darauf ab, Sinn Féin die Teilnahme an den Mehrparteiengesprächen zu ermöglichen, sobald die IRA den im Februar gebrochenen Waffenstillstand erneuert.
Der Belfaster Journalist Ed Moloney behauptet sogar, daß die IRA schon im Oktober einen inoffiziellen Waffenstillstand eingegangen sei, um die geheimen Kontakte zur britischen Regierung zu reaktivieren. Die IRA hat Major offenbar einen Katalog von Bedingungen überreicht, unter denen ein neuer Waffenstillstand möglich wäre. Neben Sinn Féins Platz am Runden Tisch gehören dazu verschiedene „vertrauensbildende Maßnahmen“ – etwa die vorzeitige Entlassung politischer Gefangener und eine Polizeireform.
Bei den nordirischen Unionisten geht die Angst um, daß sich die britische Regierung hinter ihrem Rücken mit Sinn Féin und IRA einigt. Vorige Woche haben die drei unionistischen Parteien deshalb die Vorbedingungen für Sinn Féins Teilnahme an den Gesprächen verschärft. Die IRA müsse einen Großteil ihrer Waffen herausrücken, bevor man mit Sinn Féin reden werde, heißt es nun wieder, obwohl diese Forderung längst vom Tisch schien. Allerdings herrscht im unionistischen Lager keine Einigkeit darüber, wie das durchzusetzen sei.
Die radikal-protestantische Partei von Pfarrer Ian Paisley und eine unionistische Splitterpartei versuchten am Montag, am Runden Tisch eine Entscheidung über die Herausgabe der Waffen herbeizuführen. Hätte eine Mehrheit Paisleys Antrag zugestimmt, wären die Mehrparteiengespräche praktisch beendet gewesen. Davor schreckte die größte Partei, die Ulster Unionist Party, jedoch zurück, weil sie in diesem Fall als Sündenbock dagestanden hätte. So ließ sie sich lieber von Paisley als „Verräter“ beschimpfen und stimmte mit den Sozialdemokraten für die Vertagung auf heute.
Paisleys Sorgen scheinen unbegründet. Gestern ist durchgesickert, daß Major es ablehnt, Sinn Féin nach einem erneuerten IRA- Waffenstillstand automatisch an den Gesprächen teilnehmen zu lassen. Statt dessen besteht er auf eine „IRA-Dekontaminierungsphase“ von unbestimmter Länge, so heißt es. An ähnlichen Forderungen war der IRA-Waffenstillstand vom August 1994 gescheitert. Der Sinn- Féin-Vorsitzende Mitchel McLoughlin warnte Major gestern vor einer „möglicherweise tödlichen Fehlkalkulation“. Ralf Sotscheck
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