: Verkracht oder Verbrechen
■ Amateurfilme mit Muttern direkt vom Flohmarkt: Cinemoritz präsentiert Euro-Trash-Congrash im Lichtmesz
Die Serviette ist nicht zu groß. „Tischservietten müssen ja so groß sein“, bestätigt Angelika, und die Mutter echot den gleichen Satz der Wichtigkeit halber noch einmal. Dieter, kein Mann des Wortes und schon gar keiner enthemmter Euphorie, entfährt ein unverhofft wildes „Oh, klasse, ein Tonfilm“. Denn Dieter filmt gerne auf Super 8. Angelika im Badeanzug, Angelika am Matterhorn, Angelika in Spanien, genauer, in drei verschiedenen spanischen Eiscafés. Alles liebevoll mit Gefrierschildchen („Bundesbahnreise mit Mutter, Himmelfahrt 1973 nach Bingen-Bingersbrück“) etikettiert.
Ein wahrer Amateur-Film-Trash, den der Berliner Thorsten Alisch auf dem Flohmarkt gefunden hat, und ein guter Grund, den „Euro-Trash-Congrash“ im Lichtmesz zu besuchen, sind doch Angelika und The Return of Angelika ebenso deprimierend glanzlose Realitätsausschnitte wie berührend monotone Bestandsaufnahmen verblaßten Lebens. Und wenn sich das Paar an Mutters Geburtstag vor wüst gemusterten Tapeten Papphütchen aufsetzt, wartet man auf die Katastrophe, den Amoklauf, auf den man sich in vergleichbar deprimierend ausgestatteten Faßbinderszenen verlassen kann.
Je mehr die beiden sich selbst filmen, desto deutlicher sind die Versuche, sich mit dem Medium auseinanderzusetzen. Bald steht Angelika nicht mehr in verunglückten Panoramen vor dem Montreuxer Postamt und faßt die Wetterlage zusammen, sondern läuft mit kokett geschwungener Handtasche durchs Bild. Auch die Kamera läßt sich zu beherzten Schwenks hinreißen: Angelika auf Sonnenliege, aus dem St. Blasius-Katalog zitierend: „Jetzt ist eigentlich die schönste Zeit zum Wandern“, verhangene Bergstimmung, zurück auf Angelika.
Das faszinierendste ist jedoch, daß man sich bald Sorgen um die Protagonisten macht. Warum wird Angelika so dick, warum guckt sie zunehmend trauriger, warum machen die Kameramannqualitäten keine wesentlichen Fortschritte, warum nur landete das Ergebnis auf dem Ramsch? Die eigentliche Geschichte muß sich zwischen den Schnitten ereignet haben, und so spekuliert man schnell über das jähe Ende der Film-Love-Story. Verkracht? Verbrechen? Verkehrsunfall? Ein XY-Fall für den Trash-Meister Ede Zimmermann. big außerdem Filme von Manfred O. Jelinski, Jan Peters, Warnix-Machtnix: Fr, 29. November, 19.30 Uhr / T.R.A.S.H., Die Freax: Sa, 30. November, 19.30 Uhr, jeweils Lichtmesz
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