Ein Opfer ohne Täter

Erst verprügelt, bald verurteilt? Warum dem Erzieher G., der von Polizisten schwer verletzt wurde, der Prozeß gemacht werden soll  ■ Von Marco Carini

Polizeiskandal und kein Ende: Der Schlagstockeinsatz des Einsatzzuges Mitte vor der Roten Flora am 19. Juni 1995 wird ein gerichtliches Nachspiel haben. Zwei Opfern wird Widerstand gegen die Staatsgewalt und Landfriedensbruch vorgeworfen. Doch ob die Polizisten zur Rechenschaft gezogen werden, die auf PassantInnen und TeilnehmerInnen einer unangemeldeten Demonstration eindroschen und mehrere Personen schwer verletzten, ist fraglich, die Ermittlungen gegen drei Beamte sind noch immer nicht abgeschlossen.

Einer der beiden Beschuldigten ist der 34jährige Gunnar G. Der Erzieher wurde, das ist unstrittig, von mehreren Beamten so heftig attackiert, daß er schwere Verletzungen davontrug. Mit einer klaffenden Platzwunde am Kopf, Schnittwunden, einem gestauchten Handgelenk und Nackenprellungen wurde er für sechs Wochen krankgeschrieben. Einen irreparabel geschädigten Nackenwirbel behielt er als bleibendes Andenken zurück. Zudem wurde er von den Polizisten angezeigt. Der Erzieher habe erst einen Stein auf die Staatsmacht geworfen und sich anschließend seiner Festnahme mit heftigen Fußtritten widersetzt.

Gestützt wird diese Version durch die Aussagen mehrerer Polizisten. Doch deren Berichte, das beweisen die Ermittlungsakten, sind eine Ansammlung von Widersprüchen. So berichtete etwa der Polizeibeamte W. den Ermittlern zuerst, der Beschuldigte habe einen „Stein auf mich und Mitarbeiter“ geworfen. Später sagte dieser einzige Augenzeuge des Wurfes gegenüber der Dienststelle Interne Ermittlungen (DIE) aus, es könne sich auch um ein Ei oder Stück Holz gehandelt haben, das sich bei erneuter Befragung wieder in einen Stein zurückverwandelte. Mal konnte der Beamte G. als Werfer eindeutig identifizieren, dann wieder nicht. Im „Schlußbericht“ des Landeskriminalamtes heißt es: „Der Beamte ist sich auch nicht sicher darin, ob die von ihm beschriebene Person identisch ist mit dem Beschuldigten G.“ Da der „Tatnachweis des konkreten Steinwurfes nicht zu führen“ sei, wurde das Verfahren gegen G. eingestellt.

Doch auf Betreiben der DIE, die eigentlich für die Ermittlung von Beamtendelikten zuständig ist, wurde es erneut aufgerollt. Durch intensives Studium von Polizeifotos versuchte die DIE zu belegen, daß G. bereits am Nachmittag an einer genehmigten Demonstration im Schanzenviertel teilgenommen habe. Dieser Umstand, so heißt es in den Ermittlungsakten, sei ein „Indizwert“ für die mangelnde Glaubwürdigkeit des Erziehers im Verfahren gegen die Polizisten.

Der Widerstandsvorwurf gegen G. wird aus den Aussagen der Polizeibeamten P. und V. hergeleitet, die beide zugeben, per Schlagstock auf Gunnar G. eingedroschen zu haben. Dies sei notwendig gewesen, da der Erzieher bereits „am Boden liegend“ wie „wild um sich trat“. Mehrere Zeugen bestätigen hingegen, daß der 34jährige die Beamten „in keiner Situation“ getreten habe. Und auch Fotos von der Auseinandersetzung, die der taz vorliegen, stützen die Version der Prügel-Polizisten nicht. Sie zeigen G. wehrlos auf dem Boden liegend beim Versuch, seinen blutenden Kopf vor weiteren Schlägen zu schützen.

Eindeutiger sind dagegen die zahlreichen Aussagen von „zivilen Zeugen“, die allesamt den Schlagstockeinsatz , nicht aber den Steinwurf und die Fußtritte bestätigen. Doch nach Informationen der taz will die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen die Beamten frühestens nach Beendigung des Prozesses gegen G. terminieren, eventuell sogar gar keine Anklage erheben. G. hingegen wird mit Sicherheit vor Gericht landen. Voraussichtlich ab März, so Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger, soll das Hamburger Amtsgericht klären, ob das Opfer nicht der einzige wahre Täter ist.