: Häuser versenken für den Hafen
Altenwerder: Wohnraum wird vernichtet, statt Flüchtlingen Unterkünfte zu stellen oder Obdachlose über den Winter zu bringen ■ Von Heike Haarhoff
Der fachmännische Blick des zuständigen Bauprüfers vom Ortsamt Süderelbe schließt jeden Zweifel aus: „Das Haus am Altenwerder Elbdeich 22 hatte weder bauliche Mängel noch bestand akute Einsturzgefahr.“ Dennoch wurde das Gebäude (Baujahr 1950), seit knapp 20 Jahren im Besitz der Stadt Hamburg und zuletzt von Flüchtlingen bewohnt, nun abgerissen.
„Allein zu Zwecken der Hafenerweiterung“, das bestätigen übereinstimmend Bauprüfabteilung Süder-elbe, Sozialamt Harburg und die Wohnungsgesellschaft Saga als lang-jährige Hausverwalterin, wurde der Wohnraum zweier Großfamilien aus Afghanistan und dem Kosovo vernichtet. „Die Mietverträge zwischen dem Sozialamt und der Liegenschaft wurden einvernehmlich aufgelöst“, sagt Saga-Sprecher Herrmann Boekholt. Die Flüchtlingsfamilien hätten sich ohnehin nicht gut verstanden und seien umgesiedelt worden.
Daß kostengünstiger und gut erhaltener städtischer Wohnraum, zudem ausgerechnet zu Winterbeginn, zerstört wurde, ist für den Harburger Sozialdezernenten Holger Stuhlmann kein Problem: „Wir haben seit zwei Jahren abnehmende Flüchtlingszahlen; es fehlen keine Unterkünfte“, behauptet er. Die Statistik der Sozialbehörde widerspricht ihm: 3329 Obdachlose und Zuwanderer (Stand: März 1996) leben in Hamburg, in Ermangelung adäquaten Wohnraums, in Hotels; 36 Millionen Mark zahlt die Stadt nach Angaben der Sozialbehörde jährlich für die Unterbringung. Fakten, die bei Stuhlmann nur Seufzen auslösen: „Die Hafenerweiterung, Sie wissen...“
Doch der Zeitplan, nach dem die Wirtschaftsbehörde den Hafenausbau auf der Elbinsel – übrigens immer noch ohne Finanzierungskonzept – vorantreibt, gab gar keinen Grund zur Abbruch-Eile: Derzeit gräbt lediglich der Kampfmittelräumdienst freie Flächen auf der Suche nach Bomben um, werden Bäume und Sträucher gefällt und der Boden im Talraum der Alten Süderelbe verdichtet, um dort später Deiche zu bauen.
Frühestens im nächsten Frühjahr, so Behörden-Sprecher Wolfgang Becker, solle der Nordwesten Altenwerders „in Angriff“ genommen und ein Ringdeich für ein Spülfeld vorbereitet werden. Daß das Häuser-Grundstück dafür wahrscheinlich gar nicht benötigt wird, findet er ziemlich egal: „Wir können keine Inseln freilassen.“ Sämtlichen Mietern Altenwerders, die noch in städtischen Gebäuden leben, „wird jetzt ohnehin nach und nach gekündigt, und dann werden die Häuser auch direkt abgerissen“.
Ein „rein psychologisches Druckmittel“, weiß Herbert Nix vom Förderkreis Rettet die Elbe: „Die versuchen, Altenwerder sowenig lebenswert zu machen, daß die Leute hier freiwillig wegziehen.“
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