: „Da war ein riesiger Schuttberg“
■ Verseuchter Boden in Hemelingen - Anwohner erinnern sich an Abladeplatz für Industriemüll
„Da war ein Riesenschuttberg, wie Sie sich ihn kaum vorstellen können“, sagt der Hemelinger Heimat-Historiker Friedrich Rauer. „Da“, das ist hinter der heutigen Autobahnmeisterei in der Hemelinger Marsch, dort, wo derzeit für die neuen Gewerbeflächen die Erde nach Bomben-Blindgängern abgesucht wird. Dabei fielen Verunreinigungen im Erdreich auf, mehrere hunderttausend Kubikmeter auf zehn Hektar Fläche stehen unter Verdacht. Die Umweltbehörde wußte erst gar nicht, woher das kommen konnte.
Rauer hat es in seiner Kindheit mit eigenen Augen gesehen: Auf dem Gelände der Autobahnmeisterei stand eine große Ziegelei, die die Steine für den industriellen Aufbau Hemelingens brannte, Ziegeleien waren dort seit 1800, weil die Erde unter der Marsch sehr tonhaltig ist. „Das wurde regelrecht ausgebaggert“, erinnert sich Rauer, wenn eine Tongrube ausgebeutet war, wurde daneben die nächste gegraben – und die alte natürlich wieder verfüllt. Und deshalb war direkt hinter der Ziegelei der große und billige Müllberg Hemelingens: Wenn eine Grube verfüllt werden sollte, wurde das Zeugs vom Müllberg auf Loren geladen und zu der alten Grube geschafft. „Ich habe die Loren noch vor Augen“ erinnert sich Rauer, heute 63 Jahre alt. Bauschutt wurde da verfüllt, auch mal „Flüssiges“, der gesamte Hausmüll aus Hemelingen landete auf dem Schuttberg. Teer? „Das habe ich nie beobachtet“, sagt Rauer. Aber beobachtet hat er, daß von der Toschi-Fabrik die Reste der asbesthaltigen Platten in die alten Tongruben gekippt wurden.
1960 wurde die Ziegelei stillgelegt, als damals die Autobahn gebaut wurde, kippte man die Reste des Müllbergs in einen See an der Weser, der nach der Baufirma seitdem im Volksmund „Hegemann-See“, genannt wird, erinnert sich ein alter Marsch-Bauer.
Erst als mit der Autobahn der Wasserstand angehoben wurde, siedelten sich andere Bauern in der Marsch an, weil der Boden intensiv genutzt werden konnte. Bauern wie Jürgen Seekamp sind erst in den 60er Jahren zugezogen. Sie alle haben im letzten Jahr ihren Grund an das Land Bremen zum Wiederbeschaffungswert verkauft – und wirtschaften derzeit pachtfrei weiter, immer auf „Abruf“.
Im Hemelinger Ortsamt waren Gerüchte über mögliche Altlasten unter der Marsch seit einigen Jahren bekannt, aber Genaues wußte niemand. Daß man bei den Vorbereitungen der Erschließung auf Bodenbelastungen gestoßen ist, löste eher Genugtuung aus: „Für uns ist das positiv, wir waren immer dagegen“, sagt der stellvertretende Ortsamtsleiter Hans Günter Köhler. Die Front ist in den letzten Jahren gebröckelt: Auch Christian Weber, derzeit Fraktionsvorsitzender, war als Beiratssprecher in Hemelingen gegen die Bebauung der Marsch gewesen. Ebenfalls Tine Wischer, heute Umweltsenatorin, als sie noch Stadtteil-Politikerin war. Köhler bitter: „Mit dem Amt verliert man die Wurzeln.“ Überhaupt keine Freude löste die Nachricht von den Bodenfunden im Wirtschaftssort aus. Die Erschließung werde dadurch in keiner Weise gefährdet, beruhigte das Wirtschaftsressort alle Spekulationen über die Folgen für das geplante Gewerbegebiet. Der Sprecher der Umweltsenatorin meinte, man könne derzeit seriös überhaupt nichts sagen, die Bodenuntersuchungen erst am Anfang stünden. K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen