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Leider schien die Sonne

■ Jane Austen, eine Schwester von Woody Allen? Während "Persuasion" noch läuft, rollt mit "Emma" die fünfte Austen-Verfilmung dieses Jahres auf uns zu

Plötzlich auftretende Annehmlichkeiten mochte Jane Austen nicht. „Ich hoffe immer, daß Leute nicht zu nett sind; das spart mir den Ärger, sie zu sehr zu mögen.“ Als sie 25 war, im Dezember 1800, lebte sie mit ihren alten Eltern und einer Schwester in einem mürben Pfarrhaus, Steventon Rectory, in Hampshire. Alle ihre sechs Brüder waren ausgezogen; sowohl die Mutter als auch die Schwester, mit der sie höchst verbunden war, hießen Cassandra. Ihr Bruder Edward war als Junge von einer reichen Familie in Kent adoptiert worden und lud nun launisch mal die eine, mal die andere Schwester in seine Entourage – mit Prinzen dinieren, in blitzenden Kutschen fahren, sich intelligent unterhalten und sogar London sehen war damit verbunden, und so war es bitter genug, daß Edward eigentlich doch öfter Cassandra als Jane mitnahm.

Köstliche Landbrötchen

Jane entwarf bittere Briefe. Hatte Cassandra nicht versprochen, ihr ein Paket mit Strümpfen, Schuhen und Kämmen zu schicken? „Ich war ein wenig enttäuscht“, schrieb sie, „aber nicht mehr als absolut angenehm, und ich hoffe, auch morgen wieder enttäuscht zu sein.“ Sie richtete es sich behaglich ein: „Du hattest sicher eine gute Reise, ich gratuliere. Wir mußten uns drei- oder viermal darüber freuen, daß Du so schönes Wetter hattest. Ach, wie köstlich ist es, Brötchen mit Senf in der Markthalle zu essen; Ihr da oben kennt ja die Feinheiten bäuerlicher Küche gar nicht.“ Gerne hätte sie beschrieben, wie Steventon in wüsten Regengüssen ertrank, aber leider schien herrlich die Sonne. Als das geforderte Paket dann prompt eintraf, durchkreuzte es böse ein kleines Sprachspiel, das sie sich die ganze Nacht ausgedacht hatte: „Obwohl ich keinen Brief von Dir bekommen habe, seit Du London verlassen hast, muß wohl die Post unpünktlich gewesen sein und nicht Du selbst.“

Braune Häute und eine Menge Nase

Sie liebte es, auf den Teeparties bei Nachbarn herumzustehen und schon an den Formulierungen zu kauen, die sie später zur Beschreibung der Gäste gebrauchen würde: „Die Damen Maitlands waren da, mit braunen Häuten und einer Menge Nase; ich war so anständig zu ihnen, wie ihr Mundgeruch es erlaubte ...“ Dies alles paßt leicht zu der Vorstellung der schreibenden Spinster – der gegen die Sehnsucht anschreibenden Jungfer –, die der taz-Kollege hatte, dem ich „Persuasion – Jane Austens Verführung“ anempfahl. „Hast du auch was für Jungs?“ So ganz vollständig ist diese Vorstellung nicht.

Ein Netzwerk von Verwandten

Dem romantischen Melodram ist Austen auch in ihrem letzten – nun von der BBC verfilmten – Roman „Persuasion“, immer ironisch ferngeblieben. Schon Cassandra, ihre Mutter, soll eine Dame von schnellem Witz gewesen sein, deren Impromptu-Verse und Kurzgeschichten in der Nachbarschaft goutiert wurden. Das Familienvergnügen war Schauspiel; die Steventon- Scheune war zum Theater umgebaut, man spielte große Komödien des 18. Jahrhunderts.

Obwohl Austens unverheiratetes Leben im Pfarrhaus keine großen Erschütterungen bot und sie mit oben beschriebenem Sarkasmus austattete, bot es ihr doch ein unauffälliges, lebendiges Netzwerk von wirklich zugeneigten Verwandten und Freunden – gemäßigter Landadel und ländliche Geistlichkeit, Seeaufenthalte, London-Besuche und eine echte Neighbourhood, die sie mit genügend Schauplätzen und Beziehungsangeboten für ihre Romane versorgte.

Die zwei Windlagen eines Gefühls

Sie waren ein gewogenes Publikum, auch nachdem Austen schließlich nach 1811 sogar bei Hof geschätzt wurde – der Prinzregent, der spätere George IV, hatte ein Exemplar von „Emma“ in jeder seiner Residenzen stehen.

„Persuasion“ war der letzte Roman, den Jane Austen fertigschrieb, und er geriet komplexer und schöner noch als „Sense and Sensibility“ oder „Pride and Prejudice“. Wie diese beschreibt er aber die zwei Windlagen eines Gefühls: Wie der Stolz Angriffsfläche für Breitseiten bietet, schützt er vor Auslieferung; wie die Vernunft vor Gefühlsterror bewahrt, friert sie zu viele der Tentakel ein, die man den anderen entgegenstrecken muß. Die Überredung war es, die Anne Elliot (Amanda Root), die Protagonistin von „Persuasion“ abhielt, vor sieben Jahren dem Heiratsantrag des Kapitän Frederick Wentworth (Ciaran Hinds) nachzugeben. Die Handlung setzt ein, als der Sturm sich schon gelegt hat, als alles zu spät ist und man nicht mehr miteinander reden kann. Zur Erkundung der Lage muß über Bande gespielt werden: Mit dritten wird erörtert, wie lange Frauen lieben und wie sehnsüchtig Männer sind. Andere Interessen interferieren; Standesfragen, Loyalitätskonflikte, Romanzen.

„Persuasion“ ist, wie letztlich alle von Jane Austens Romanen, ein Plädoyer für die gemischte Gefühlslage und gegen die romantische Revolution: In den acht Jahren, die seit dem stürmischen Antrag (von dem wir weder etwas sehen noch lesen) vergangen waren, haben die Liebenden beobachtet und das Beobachten des anderen beobachtet und begegnen einander, solchermaßen gewitzigt, als Autonome wieder. Wie buddhistische Spieler, nicht von zu viel Offenbarungsdrang gequält.

Genialer Regieeinfall, zum Schluß einen bunten Jahrmarktszug, mit einem Harlekin auf Stelzen voran, freundlich nach allen Seiten grüßend, durchs Bild ziehen zu lassen.

Erstaunlich, daß eigentlich alle bisherigen Austen-Verfilmungen gelungen sind, obwohl sie so unterschiedlich operierten: „Clueless“ von Amy Heckerling hatte aus dem eher mittelprächtigen Roman „Emma“ eine fantastische MTV- Komödie für das San Fernando Valley gemacht, mit Alicia Silverstone in der Hauptrolle, die immer „Project!“ rief, wenn es ihr einfiel, Gutes zu tun; „Sense and Sensibility“, mit dem Drehbuch von Emma Thompson (ihre Schwester Sophie spielt in „Persuasion“ eine köstliche eingebildete Kranke), und unter der Regie von Ang Lee, hatte dessen chinesisch-amerikanische Erfahrung beim ironischen Betrachten des Familienzerfalls mit Thompsons gewieft-herzliche Damenhaftigkeit zu größtem Erfolg kombiniert. Nur „Pride and Prejudice“, ebenfalls eine BBC- Produktion, von Simon Langton hatte sich damit begnügt, aus Elizabeth Bennet und Mr. Darcy zwei unerhört gutaussehende junge Menschen zu machen, die bloß diese blöden Hemmungen mal überwinden müssen, und schon ist alles in Butter.

Eine neue Verfilmung von „Emma“, mit Gwyneth Paltrow in der Hauptrolle, ein Debüt von Douglas McGrath, ist nach Europa unterwegs. Wie man hört, ein „Portrait of a Lady“, das sehr viel mehr Begeisterung hervorruft als die gleichnamige Henry-James- Verfilmung von Jane Campion.

Wie dem auch sei; es scheint, daß Austen-Verfilmungen bieten, was man sonst nur bei Woody Allen findet, dem Woody Allen von der „Sommernachts-Sexkomödie“ oder auch „September“ und „Hannah und ihre Schwestern“: erwachsene Männer und Frauen, deren Leben durch plötzliche moralische Rigorismen ins Trudeln gerät, aus dem sie sich – wenn alles gut geht – durch etwas wie Solidarität heraushelfen. Mariam Niroumand

„Jane Austens Verführung“ (Persuasion). Regie: Roger Michell. Mit: Amanda Root, Ciaran Hinds u.a. GB, 1995, 103 Min.

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