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City bewohnbar machen

Wohnen im Zentrum: Max Dudler errichtet das erste reine Wohnhaus der neuen Friedrichstadt. Teil V der Serie „Wie gewohnt?“  ■ Von Hans Wolfgang Hoffmann

London, Docklands, 19.30 Uhr: Der Kellner des Edelitalieners in der Hochhauslobby schaut auf die Uhr. Die übrigen Geschäfte haben ihre Rollgitter bereits heruntergelassen. Bald stellt der Docklands Light Railway den Betrieb ein. Nach Büroschluß wird mit den Computern ein ganzer Stadtteil abgeschaltet. Die Docklands erstarren zu einer leblosen Masse aus Stahl, Glas und Granit. Das Quartier ist schlicht nicht bewohnbar.

Berlin kurz nach der Wende: Der Friedrichstadt droht ein ähnliches Szenario. Büroflächen versprechen Traumrenditen. Um ein Minimum an Mischung zu sichern, schreibt der Senat einen Wohnanteil von zwanzig Prozent vor. Klar ist damit: Die Rahmenbedingungen für Wohnen in der City ändern sich nicht. Familien etwa reizt die Nähe zur Zentrale der Deutschen Bank und zu den Konzertsälen der Hochkultur wenig, solange sich im Umkreis von 500 Metern um den Gendarmenmarkt kein Kita-Platz, keine Grundschule und kaum Freiflächen finden; bei Bodenpreisen von 10.000 bis 20.000 Mark pro Quadratmeter ist die Lage sowieso nur für eine Minderheit interessant. Weniger klar ist, welchen Charakter das Wohnen in der City haben wird.

Die meisten Bauherren setzen auf neue Mischformen von Kommerz und Wohnen. Sie entwickeln „boarding houses“, die Konzerne mieten sollen, um Hotelkosten zu sparen. Es sind luxuriös ausgestattete Schlafzellen, in denen sich der Businessman gerade so lange aufhält, wie seine Geschäfte ihn dazu zwingen. Der Leerstand ist systembedingt.

Die wenigen vollwertigen Wohnungen werden soweit wie möglich von der Straße zurückgenommen und in die obersten Geschosse verbannt. Auf dem Dach entstehen Penthäuser, die mit Einfamilienhausidylle mehr gemeinsam haben als mit innerstädtischem Wohnen. Sie verkaufen das Panorama der Stadt, ohne sich auf ihr Leben einzulassen. Während die gleichförmigen Fassaden versuchen, das Ganze nach außen zu einem einheitlichen Büro- und Wohnhaus zusammenzufassen, kommen die Zutaten der Berliner Sahnetorte innen nicht zusammen. Separierte Treppenhäuser und Aufzüge verhindern, daß der Geschäftsmann die Hausfrau kennenlernt. Keines dieser Projekte nutzt das Potential der Lage, präsentiert die City als Wohnort. Zwanzig Prozent Wohnen bleiben eine lästige Randerscheinung, kaum geeignet, die Friedrichstadt nach Geschäftsschluß zu beleben.

In der Behrensstraße 28 steht ein Gebäude kurz vor der Fertigstellung, dessen streng gerasterte, graugrüne Granitfassade auf den ersten Blick kaum vermuten läßt, daß hier ein ganz anderer Ansatz verfolgt wird. Das Haus ist Teil des Projekts „Hofgarten“, das sich über den gesamten Block 208 erstreckt. Hier, an der ruhigsten Straße des Karrees, wurden nach einem städtebaulichen Konzept von Josef Paul Kleihues alle für das Gesamtprojekt geforderten Wohnungen in einem Gebäude konzentriert. Es ist das erste reine Wohnhaus der neuen Friedrichstadt. Den Entwurf lieferte der Schweizer Architekt Max Dudler. Er vereinigt die Wohnideen der Moderne mit den städtischen Qualitäten großbürgerlicher Stadthäuser, wie sie in Berlin Ende des letzten Jahrhunderts vor allem am Kurfürstendamm entstanden.

Lagen bei diesen Mietshäusern hinter der Lochfassade wohlproportionierte, aber in sich geschlossene Zellen und war die „Wohnung“ nur eine Ansammlung von Kammern, die allenfalls von langen, schmalen Fluren zusammengehalten wurden, spannen sich hier zwischen Straße und Hof kontinuierliche Räume, veritable Wohnungen. Die Nebennutzungen sind dort plaziert, wo angesichts der enormen Gebäudetiefe von 22 Metern eine natürliche Belichtung ohnehin unmöglich ist: in der Tiefe des Raumes. Doch Ankleide, Bibliothek, Küche, Bad unterbrechen den Raum nicht. Sie stehen als dezente, anthrazitfarbene Möbel auf durchlaufendem Eichenparkett. Wirkt der Raum dadurch schon größer, als er eigentlich ist, weiten ihn großformatige Tafelfenster bis zur anderen Straßen- oder Hofseite. Die vierte Wand des Zimmers bildet erst das Gegenüber. Die Straße wird Teil des Wohnraums. Zum Hof fällt der Blick durch einen Wintergarten, einen schlichten Glasvorhang, über ein durchlaufendes Balkonband auf schwarz glänzende Granitplatten, auf eine Fassade von hinreißender Eleganz.

Angesichts solch großstädtischer Perspektiven fällt es nicht mehr auf, daß der Innenraum nicht die generösen 4,5 Meter von Altbauten hoch ist, sondern eben nur jene 2,70 Meter mißt, die heute gerade noch finanzierbar sind. Statt in Höhe wird in (vermietbare) Fläche investiert. Keine Raumeinheit ist unter 30 Quadratmeter. Sie werden durch große Wanddurchbrüche auf derselben Etage zusammengeschaltet, vor allem aber über zwei Geschosse. Wie bei Le Corbusiers „Unit d' Habitation“ von 1951 legen sich je zwei L-förmige Maisonetten um einen Erschließungsgang. Es entstehen Galerien und Räume doppelter Höhe. Die Qualität des privaten Bereichs wird größer, unvermietbare Verkehrsfläche eingespart. Korridore sind nur noch in jedem dritten Geschoß notwendig.

Das immer gleiche Modul von 4,5 auf 7 Meter bringt eine erstaunliche räumliche Vielfalt hervor. Die 46 Wohnungen variieren zwischen ein und fünf Zimmern, zwischen 40 und 220 Quadratmetern. Die Architektur tut alles, damit sich die Hausgemeinschaft soweit durchmischt, wie das bei einem Kaufpreis von 8.000 bis 12.000 Mark pro Quadratmeter möglich ist. Die neutral geschnittenen Zimmer legen den Nutzer nicht fest. Ob er die schlichte Raumgeometrie zum Wohnen, Schlafen oder Arbeiten verwendet, entscheidet er. Mit etwas Phantasie kann man sich in den Maisonetten Ateliers und in den größeren Wohnungen Anwaltskanzleien vorstellen.

Wie seine historischen Vorbilder vermögen die großen, gleichberechtigten Räume auf Nutzungsänderungen zu reagieren. Damit ist die Behrensstraße nicht einfach eine maßgeschneiderte Hülle für Leute, die ihre Operationsbasis in der Nähe ihrer Geschäftspartner aufschlagen und sich abends spontan entscheiden, ob sie in die Staatsoper gehen oder durch die Friedrichstadtpassagen bummeln, sondern eine weit universellere Interpretation des städtischen Hauses. Es ist diese Gelassenheit, die letztlich auch die Fassade nach außen trägt.

Bisher sind weniger als ein halbes Dutzend Wohnungen verkauft. Noch kann der Investor damit werben, daß man in der Friedrichstadt außerhalb der Geschäftszeiten mühelos Parkplätze findet. Noch begegnet man nach 22 Uhr mehr Wachmännern und Maulkörben als normalen Passanten. Noch ist die Behrensstraße 28 nur ein Haus inmitten der Bürolandschaft, und ein leeres zudem.

Teil VI erscheint am 4. Januar: 100 Meter vom Alex.

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