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Erste Anzeichen eines Sinneswandels in Belgrad

■ Das Oberste Gericht Serbiens muß erneut über Wahlannullierungen entscheiden. Wieder 100.000 Menschen auf der Straße. EU setzt Handelserleichterung aus

Belgrad (AP/AFP/dpa/taz) – In Serbien hat gestern der Druck auf das Oberste Gericht zugenommen, die Annullierung der Kommunalwahl vom 17. November zurückzunehmen. Die staatliche Wahlkommission focht die Annullierung an und forderte das Gericht auf, die Wahlergebnisse für gültig zu erklären. Gleichzeitig legten auch Rechtsanwälte des Oppositionsbündnisses Zajedno Berufung gegen die Annullierung ein. Innerhalb von 48 Stunden muß das Oberste Gericht nun eine Entscheidung treffen.

Gestern abend gingen in Belgrad erneut mehr als 100.000 Menschen auf die Straße. Vor dem Demozug wurde eine Milošević- Puppe in Sträflingskleidung hergetragen. Nach den mehr als zweiwöchigen Demonstrationen hatte der serbische Präsident zuvor innerhalb von nur 24 Stunden gleich mehrere Zugeständnisse gemacht: Zwei Milošević-Vertraute traten zurück, die unabhängigen Radiosender B-92 und Index gingen wieder ans Netz, und der Außenminister versprach, keine Gewalt anzuwenden.

Innerhalb von Zajedno scheint es jetzt unterschiedliche Meinungen darüber zu geben, wie auf den neuen Kurs reagiert werden soll. Ein Sprecher der Demokratischen Partei machte gestern klar, daß es keine Verhandlungen mit der Regierung geben wird. „Das Oppositionsbündnis will nicht durch die üblichen Tricks von Milošević und seiner Regierung betrogen werden“, sagte Slobodan Vukšanović. Oppositionsführer Vuk Drašković sagte dagegen am Donnerstag, um ein Ende der Protestbewegung zu erreichen, müsse Milošević die Pressefreiheit wiederherstellen und diejenigen vor Gericht bringen, die die Wahlergebnisse gefälscht hätten.

Die Europäische Union setzt die Umsetzung der bereits beschlossenen Handelserleichterungen für die Bundesrepublik Jugoslawien aus. Die EU-Außenminister einigten sich gestern in Brüssel einmütig auf diesen Schritt. Die Menschen, die seit 17 Tagen gewaltfrei auf den Straßen Belgrads demonstrierten, hätten ein „positives Echo der Europäer verdient“, sagte Außenminister Kinkel.

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