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Prügel und Knast für Milosevic-Gegner

■ Über 200.000 Menschen demonstrieren in Belgrad. Oberstes Gericht bestätigt Wahlannullierung. Serbiens Präsident schließt Gewalt gegen Demonstranten aus. Radio B-92 soll weiter auf Sendung bleiben

Belgrad (AFP) – Die Opposition in Serbien hat am Wochenende wieder mehrere hunderttausend Menschen zu Demonstrationen gegen Staatspräsident Slobodan Milošević mobilisiert. Bei einer der größten Kundgebungen seit Beginn der Proteste vor fast drei Wochen zogen am Samstag über 200.000 Menschen durch die Straßen Belgrads. Bei dem Protestmarsch gegen Milošević wurde am Samstag ein Demonstrant verprügelt und festgenommen, der eine Puppe in Gestalt Milošević' in Häftlingskleidung getragen hatte.

Dies berichteten „Zajedno“-Vertreter und freigelassene Häftlinge dem unabhängigen Sender B-92. Der Demonstrant wurde demnach mit erheblichen Verletzungen an Kopf und Brustkorb ins Gefängnis gebracht. Ersten Angaben war nicht zu entnehmen, ob er von Polizisten geschlagen worden war. Auch in Novi Sad und weiteren serbischen Städten gab es Demonstrationen.

Doch die Hoffnung der Opposition auf einen schnellen Ausweg aus der politischen Krise zerschlug sich. Der Oberste Gerichtshof in Belgrad wies am Samstag Klagen des oppositionellen Bündnisses „Zajedno“ (Gemeinsam) ab und bestätigte damit die Annullierung der Wahl von fünf Kommunalvertretern. Über weitere 41 Klagen sollte noch entschieden werden.

Er rechne erneut mit der Ablehnung, da die Klagen alle „identisch“ seien, sagte „Zajedno“-Vertreter Dragor Hiber. Die Entscheidung des Gerichtshofs habe „nichts mit Gerechtigkeit zu tun“, sagte Goran Draganović, ein Vertreter des juristischen Ausschusses von „Zajedno“, im Radiosender B-92. Die Proteste hatten sich an einem Gerichtsentscheid zur teilweisen Annullierung der Kommunalwahlen vom 17. November entzündet. Demnach wurde der Opposition fast die Hälfte der 60 errungenen Sitze genommen. Insgesamt verfügt das Belgrader Stadtparlament über 110 Sitze. Bei den Nachwahlen in der Hauptstadt erreichte die Opposition 31 Sitze.

Vor den Demonstranten kündigte Gewerkschaftsführer Dragan Milavanović einen Streik in der Metallindustrie für diese Woche an. Nach seinen Angaben arbeiten rund 90.000 der ingesamt 400.000 Mitglieder der Gewerkschaft Naviznost in der Metallindustrie.

Das Regierungslager versuchte unterdessen, die Rolle von Milošević bei der Annullierung der Wahlen herunterzuspielen. Die Sozialistische Partei trage die Hauptverantwortung für die jüngsten Entwicklungen, sagte der Vorsitzende der mit Milošević verbündeten Partei Neue Demokratie, Dusan Mihajlović, der Zeitung Dnevni Telegraf. Der Anteil von Milošević an der Entscheidung dürfe nicht überbewertet werden. Der Wählerwille müsse respektiert werden, sagte Mihajlović. Die Demonstranten hätten das Recht, ihren Unmut zu bekunden.

Milošević äußerte sich am Samstag erstmals persönlich zu den Protesten. Er schloß eine gewaltsame Niederschlagung der Demonstrationen aus, wie die Vorsitzende des US-Komitees zum Schutz von Journalisten, Kati Marton, sagte. Milošević habe ihr zugesichert, daß er die friedliche Fortsetzung der Massenkundgebungen erlauben werde, sagte Marton, die Frau des ehemaligen Bosnien-Unterhändlers Richard Holbrooke. Ferner habe Milošević erklärt, daß das vorübergehend geschlossene Radio B-92 in Zukunft unbehelligt weiter senden könne.

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