Untergang auf dem Reißbrett

■ Havariekommission der Estonia-Katastrophe: Korrekte Berechnungen landeten bei Meyer-Werft in der Schublade

Stockholm (taz) – Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Im Falle der Bugklappe der „Estonia“ bestand dieses schwächste Glied aus lediglich acht Millimeter dünnen Blechen und einer drei Millimeter starken Schweißnaht. Diese bislang unbekannten Einzelheiten über die Konstruktion des Schiffsteils, der der Fähre und fast 900 Menschen vor mehr als zwei Jahren in der Ostsee zum Verhängnis wurde, sind jetzt aus dem schwedischen Teil der Internationalen Havariekommission bekanntgeworden.

Nach diesen Informationen sollen auf der „Meyer-Werft“ in Papenburg, wo die spätere Estonia im Juni 1980 vom Stapel lief, zunächst umfassende Berechnungen über die erforderliche Stärke der seitlichen und unteren Verschließmechanismen der 65 Tonnen schweren Bugklappe angestellt worden sein – die dann aber nicht verwirklicht wurden, sondern, so das schwedische Kommissionsmitglied Börje Stenström, „offenbar in einer Schublade verschwanden“.

Bei der Estonia seien die Verschlußbolzen der beiden Seitenschlösser von nur acht Millimeter dünnen Blechen gehalten worden. Am unteren „Atlantikschloß“ sei eine Schweißnaht lediglich drei Millimeter stark gewesen – etwas mehr als ein Drittel der vorgeschriebenen Stärke. Die Konstruktion der Bugklappe wird als zentrale Ursache der „Estonia“-Katastrophe angesehen und spielt daher auch die Hauptrolle in dem seit einigen Monaten in Paris laufenden Prozeß, den Angehörige von Estonia-Opfern gegen die Meyer- Werft und die Klassifizierungsgesellschaft Bureau Veritas anhängig gemacht haben. Bureau Veritas hatte das Schiff mit einem Sicherheitszertifikat versehen.

Die Werft behauptet, die Konstruktion der Bugklappe und ihres Schließmechanismus müsse irgendwann im Lauf der Jahre durch eine Reederei geändert und damit schwächer gemacht worden sein. Ein Entlastungsversuch, für den es laut Börje Stenström keinerlei Beweise gibt. Reinhard Wolff