: Abgang eines Totgeredeten
■ Opernkonkurs in Frankfurt: Intendant Sylvain Cambreling wirft das Handtuch. Nach Lage der Dinge in der „Kulturfreizone“ blieb ihm auch keine andere Wahl
Der Frankfurter Opernintendant Sylvain Cambreling ist nach nur drei Jahren Amtszeit zurückgetreten. Das heißt, er macht bis zum 17. Juli 1997 Dienst nach Vorschrift. Danach ist Schluß. Seinen alten Vertrag bis 1999 hat er zurückgegeben. Schuld an seinem Rücktritt sei die Politik, wie es der quirlige Brüsseler vor den eilig im Opernhaus aufgerichteten Radiomikrofonen in einem Satz zusammenfaßte: „Mein Dank geht nicht an Politiker, die schon seit einigen Jahren trotz ihrer völligen Inkompetenz in Theaterangelegenheiten immer wieder und unablässig Erklärungen über den Charakter des Frankfurter Theaters abgegeben haben.“ Die vor sechs Wochen aus den Angelegenheiten der Städtischen Bühnen entlassene Kulturdezernentin Linda Reisch brach darauf in Tränen aus. Sie verließ ihren Sitz. Die Totgeschwiegene zeigte Mitgefühl mit einem Zu-Tode-Geredeten.
Sonst weinte niemand. Da es in diesem Trauerspiel um die allmähliche Beerdigung eines Theaters keine Charaktere gibt, nur Totengräber, steht Hamlet-Lektüre parat. Erster Totengräber: „Wenn der Mensch zum Wasser geht und sich selbst ertränkt, so bleibt's dabei, er mag wollen oder nicht, daß er hingeht. Aber wenn das Wasser zu ihm kommt und ihn ertränkt, so ertränkt er sich nicht selbst.“
Der Rücktritt Cambrelings ist seine einzige Rettung. Sie kommt nicht unverhofft. Schon im März dieses Jahres drohte er mit Rücktritt und sprach davon, daß die Stadt Frankfurt alles daran setze, eine „Kulturfreizone“ zu schaffen. Damals hieß es, Geld für die Oper Frankfurt sei nur noch bis Januar 1997 vorhanden, auch wenn Cambreling bereits zwanzig Chor- und neunzehn Orchesterstellen gestrichen hatte.
Diesem Schritt waren heftige Streitigkeiten im Herbst 1996 vorausgegangen, denn die Kürzung bedeutete eine Degradierung des Weltrang-Orchesters beinahe auf Provinzniveau. So nannte es Cambreling. Heute heißt es mehr als optimistisch, das Geld reiche nun doch bis 1998, und die restliche Spielzeit könne mit Wiederaufnahmen bestritten werden – falls, so war es länger schon aus Kreisen um Oberbürgermeisterin Petra Roth zu hören, der halsstarrige Cambreling endlich geht. Dieser war zu weiteren Kürzungen in seinem Haus, weil sie zu Lasten der Kunst gehen würden, nicht mehr bereit.
Ein weiteres Vorspiel aus dem vergangenen Sommer: Cambreling ist seit einem Jahr nicht mehr befugt, Verträge mit Sängern, Regisseuren und Dirigenten zu schließen. Die Zukunft der Oper lag damit außerhalb seiner Kompetenz. Darum trat er im Sommer an die Öffentlichkeit und gab zu Protokoll: „Für jeden Mitarbeiter – in unserem Falle sind das 600 Leute – müssen wir wieder Geld an die Stadt abführen. Wir erhalten Subventionen, aber wir sollen Zinsen und Umlagekosten als städtische Einrichtung bezahlen. So etwas gibt es nur in Frankfurt: Subventionen, für die man Zinsen zahlen muß und von denen große Beträge von der Stadt als Unkosten, kalkulatorische Kosten, einbehalten werden. Dazu kommt noch, daß die Stadt für die Jahre 1994 bis 1996 nicht die Erhöhungen des Normaltarifs bezahlt hat. Alles zusammen macht das ein Viertel der gesamten Subventionen aus, 13 Millionen. Mein künstlerisches Budget liegt bei 8,5 Millionen. Hätten wir nicht diese kalkulatorischen Kosten, gäbe es keine Probleme mit meinen künstlerischen Plänen. Wir könnten sogar noch sparen! 1997 waren 57 Millionen Mark für uns vorgesehen. 13 Millionen gehen davon aber wieder zurück an die Stadt. Das ist fast schon an der Grenze zur Illegalität. Es ist ein Trick der Stadt, um zusätzliche Einnahmen zu bekommen.“
Diese Analyse der städtischen Kulturpolitik hätte ein Alarmzeichen sein können. Aber der allgemeine Tenor, die Kassen seien leer, verhinderte auch jede rechtliche Untersuchung. So scheiterte das TAT letztendlich, weil die städtische Subvention, etwa für die „Miete“ des städtischen Eigentums, gleich wieder einbehalten wurde. Cambreling aber gab nicht auf, sondern griff in die eigene Tasche. Er finanzierte aus seinem Gehalt das Bühnenbild für „Simon Boccanegra“, bezahlte die neue Textfassung für Webers „Oberon“ und, was ihn zutiefst sympathisch machte, er versuchte so etwas wie Gastfreundschaft einzuführen: also Sängern aus eigener Tasche wenigstens einen Imbiß in die Garderobe zu stellen, wenn es schon dafür nicht mal intern eine „Haushaltsstelle“ gab. Cambrelings Entschluß, zu gehen, ist nur zu begrüßen. Der ewige Interimsintendant, der 71jährige Hans Peter Doll, wird derzeit aus Stuttgart eingefahren. Sein Job: Konkursverwalter. Arndt Wesemann
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