: Die bekannte Sau Jolante
■ Annäherungen ans Untergegangene: Zwei Sampler verwerten Reste aus original DDR-Liedgutbeständen
„Die Partei, die Partei, die hat immer recht“ (behalten) – heute mehr denn je, denn Tonträger mit ihren Liedern, die den VEB-Plattenläden früher wie Wackersteine im Bauch lagen, werden von Überlebenden und Nachgeborenen freiwillig gehört und sogar gekauft – für „echtes teures Geld“, wie man in der DDR zu den Westscheinen sagte. Ost und West: Das neue biographische Bewußtsein der einen soll angeblich das kichernde Partyspektakel der anderen sein. Ich bekenne Trotz, Trends, Kränkung, Coolness, also kaufe ich.
Aus diesem Grund hat BMG Ariola das Musiklabel Amiga reanimiert. Amiga war nicht „das“, sondern – neben Eterna, Nova und Litera – eines der Plattenlabel der DDR. Archivieren, verkaufen, retten, sich profilieren – was auch immer die Gründe sein mögen für das Comeback von „Stalin, Freund, Genosse“, „Der Pestsumpf des untergehenden Kapitalismus“, „Das reine Glück des Aufbaus“ und „Die bekannte Sau Jolante“. Jörg Stempel (Ost) von Amiga/Ariola und Marcus Heumann (West), ein als Reanimator (L'Amigamore) bereits verdienter WDR-Redakteur, bieten zwei wohltuend unterschiedliche Annäherungen an die verehrte Untergegangene an. Stempels „Die Schalmei hat immer recht“ betreibt ein in seiner Nervosität dem Gegenstand völlig angemessenes Geschichtssampling – eine Chronik der DDR aus kurzgeschnittenen Zitaten, Liedern, Reden und Kommentaren, die von den DDR-Kinderfernsehfiguren Pittiplatsch, Herrn Fuchs oder Frau Elster eingesprochen werden und in diesem Kontext politisch erhabener Lächerlichkeit nicht anders als zynisch und absurd wirken.
Heumanns Kompilation „Die Partei hat immer recht“ ist das wissenschaftliche Gegenstück, eine sauber recherchierte und von 1949 nach 1989 hübsch geordnete Liedersammlung, der nichts fehlt außer ein bißchen Subjektivität. Sie wird sich den Hörern in Köln oder Hamburg allerdings leichter erschließen als „Die Schalmei“ deren Kryptizismus eher dechiffriert und genießt, wer die – in diesem Fall – richtige Biographie hat.
Aus Amüsiertheit, Verzweiflung, Hilflosigkeit und Angewidertsein höchst komplex zusammengesetzte Gefühle haben beide CDs zur Folge – die richtige Biographie wieder vorausgesetzt. Leichter ist es mit den extra-fröhlichen Linkssentimentalen Transportarbeitern und ihrer zweiten CD „Sing mit uns“.
Mitunter heilt die Form die Wirkungen des Inhalts. Anke Westphal
Jörg Stempel (Hg.): „Die Schalmei hat immer recht“
Markus Heumann (Hg.): „Die Partei hat immer recht“ (beide bei Amiga/BMG)
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