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TV ohne Hauptstadtglanz

Der private Minisender TV-lokal versucht mit Stars des DDR-Fernsehens das Publikum in vier Ost-Bezirken zu gewinnen. 1997 soll den Durchbruch bringen  ■ Von Gunnar Leue

Als Prinz Charles vor Monaten in Hellersdorf Station machte und auch noch Einheimische auf ein Glas Rotkäppchen-Sekt besuchte, platzte die gesamte deutsche Medienschar in das Plattenbaurevier. Das passiert sonst höchstens noch vor bundesweit interessanten Wahlen. Dann fallen auch schon mal die Journalisten ein, um die PDS-Hochburgen auf der Suche nach dem roten Erfolgsgeheimnis zu durchstöbern. Weil ansonsten Spektakuläres hier seltener zu finden ist als anderswo in Berlin, ist diese Gegend sowohl in öffentlich-rechtlicher als auch privater TV-Berichterstattung gegenüber anderen Hauptstadtbezirken oft unterbelichtet. Seit fast genau zwei Jahren müht sich allerdings ein Sender, dieses Manko zu beseitigen. „TV-lokal“ berichtet ausschließlich über die vier nordöstlichen Berliner Bezirke Hohenschönhausen, Lichtenberg, Marzahn und Hellersdorf. Seit dem 16. November 1995 fernsehfunkt das Miniprogramm in die östlichen Wohnstuben hinein.

Eingekeilt zwischen Wetterkanal, türkischem und kirchlichem Fernsehen meldet sich „TV-lokal“ immer donnerstags und sonntags auf dem Spreekanal. Nach anfänglich nur fünf Stunden sind es mittlerweile immerhin sechzehn (einschließlich der Wiederholungen). Daß „TV-lokal“ nicht über Antenne zu empfangen ist, macht wenig angesichts der mit 250.000 Haushalten größten Verkabelungsdichte Europas in den vier Zielgebieten.

Der zweite Pluspunkt sollen die Moderatoren sein. Einige Prominente des abgewickelten DDR- Fernsehens kehrten zurück nach Adlershof, wo sich das „TV-lokal“-Studio (bis zum Umzug nach Hellersdorf) noch befindet. Neben dem ehemaligen Moderator einer Kindersendung und einer früheren Ansagerin gehört dazu auch Klaus Feldmann. Er war der bekannteste Nachrichtensprecher der DDR und vom Publikum regelmäßig zum Fernsehliebling gewählt worden, obwohl die „Aktuelle Kamera“ als absoluter Quotenkiller galt.

Feldmann ist bei einem Cottbuser Lokalsender fest angestellt, wohnt aber in Marzahn und moderiert bei „TV-lokal“ gelegentlich das Expertenforum zu Zuschauerfragen rund ums Bauen, Allergien oder Drogen. Daß er in der DDR vor allem offiziöses Planerfüllungslatein in die Kamera beten mußte, ist schon lange kein Grund mehr, daß sich Zuschauer über sein Comeback aufregen. „Die Leute kaufen ja auch beim selben Bäcker wie früher, obwohl die Brötchen jetzt anders sind“, erklärt sich Feldmann die fehlende Aufregung um seine Person.

Im Gegenteil, seit dem Promi- Einsatz stieg bei „TV-lokal“ das Zuschauerinteresse, wie der steigenden Zahl der Anrufer und der Post zu entnehmen ist, die nach den Gewinnspielen stets ankommt (eine Quotenmessung findet nicht statt). Daraus wurde ein Schnitt von zwanzig- bis dreißigtausend Zuschauern hochgerechnet. Was immer noch nicht reicht, um als voll und ganz werbefinanzierter Sender schwarze Zahlen zu schreiben.

Dabei besteht die Zielgruppe aus den „motiviertesten und flexibelsten Berlinern“, wie es im Einladungstext an die Werbekunden heißt. Doch das kaufkräftige Potential der überdurchschnittlich gut verdienenden Nordberliner wird noch verkannt. Weshalb die Mitarbeiterzahl bei „TV-lokal“ bereits von fünfzehn auf zehn gesenkt wurde.

„Das entscheidende Jahr wird 1997“, sagt Geschäftsführer Michael Gettkantt. Der frühere Tontechniker beim DDR-Fernsehen hatte nach dessen Abwicklung für die Kollegen ein ABM-Projekt organisiert, aus dem heraus 1992 eine Firma entstand, die für allerlei Sender technische Leistungen erbringt. „TV-lokal“ wurde auch deshalb gegründet, um einen Hauptauftragnehmer in der eigenen Firma zu haben.

Die knappe Kapitaldecke fällt denn auch häufig über den Programmachern zusammen. Mit Glanz und Gloria ist da nichts, was wiederum zu den avisierten Bezirken paßt, die ebenfalls mühsam am Aufschwung werkeln.

Der Anspruch der Redakteure, „richtiges Bürgerfernsehen“ machen zu wollen, leidet darunter keineswegs. Weil man originär sein möchte, wurden zum Beispiel für die erste Jugendsendung im Hellersdorfer Studio (ein Jugendklub) die örtlichen Jungbürger zur Mitwirkung aufgefordert. Daß die Pilotsendung 1996 keine Fortsetzung findet, ist allein der Geldnot geschuldet.

Bis sich irgendwann zeigt, ob die Nordostberliner überhaupt Lokalfernsehen brauchen, freut man sich bei „TV-lokal“ auch über Zuschauer fern der eigentlichen Zielgruppe. Wie beim Talk über Suchtprobleme, wo sich bedeutend mehr Westberliner zum Mitreden gedrängt fühlten als Ostler.

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