Schwerter zu Pflugscharen zu Blockflöten

■ Nach der Grünen Vera Lengsfeld erklären sechs weitere ehemalige DDR-BürgerrechtlerInnen, darunter die Ost-SPD-Gründerin Angelika Barbe, ihren Eintritt in Helmut Kohls CDU. Ihr Motiv: Der Kampf gegen die PDS

Berlin/Bonn/Dresden (taz) – „Freiheit oder sozialistische Experimente“: Wer sich, wie Angelika Barbe, vor einer solchen Alternative sieht, der kann schon mal vergessen, seiner Partei Bescheid zu sagen, bevor er das politische Lager wechselt. So mußte SPD-Fraktionschef Rudolf Scharping gestern von Dritten erfahren, daß seine ehemalige Fraktionskollegin künftig das konservative Lager verstärkt. Neben der Mitgründerin der Ost-SPD wird Vera Lengsfeld (Bündnisgrüne) in die CDU eintreten, die immerhin ihre Fraktion einen Tag vorher per Brief über ihren Austritt informierte. Beide haben ihr Anliegen schon vor zwei Wochen zusammen mit Günter Nooke, Ehrhart und Hildigund Neubert, Wolfgang Kupke und Markus Derling zu Papier gebracht. Lengsfeld hat über ihren Schritt bereits letzte Woche mit CDU-Fraktionschef Schäuble gesprochen. Zusagen zukünftiger Mandate seien nicht gemacht worden. Die Union hatte lange um die Bürgerrechtler geworben.

Die sieben Bürgerrechtler wollen sich künftig „im Wettstreit um die politische Macht in Deutschland“ auf der Seite derer einbringen, „die jegliche Machtbeteiligung der PDS ablehnen und daran festhalten werden“. Sie werfen ihren früheren Parteien „offene Erklärungen für die PDS oder hinhaltende taktische Erwägungen“ vor. Deren antidemokratische Zielsetzung werde verharmlost. Barbe hielt der SPD gar wegen der vermeintlich angestrebten Zusammenarbeit mit der PDS „Verrat sozialdemokratischer Werte vor“.

Der Sprecher der bündnisgrünen Bundestagsfraktion, Joschka Fischer, zeigte sich „politisch und menschlich“ enttäuscht über den Schritt von Lengsfeld. Es habe keine Signale über ihre Absichten ihm gegenüber gegeben. Fischer äußerte Verständnis dafür, daß man sich von seiner Partei entfremden könne. „Überhaupt kein Verständnis“ aber habe er dafür, alles drei miteinander zu vermischen, der CDU beizutreten und das Mandat behalten zu wollen. Da müsse sie sich den Vorwurf der Wählertäuschung gefallen lassen.

Zur angeblichen Anbiederung seiner Partei an die PDS betonte Fischer, die Koalition und Helmut Kohl verdankten ihre Macht auch der PDS. Nur dadurch, daß die PDS linke Stimmen im Osten für eine mögliche rot-grüne Mehrheit „absauge“, gebe es eine Mehrheit für die Koalition. Zudem sei Kohl von ehemaligen Mitgliedern der DDR-Blockparteien zum Kanzler gewählt worden. Die Übertritte zur CDU „werden letztendlich das Blockflötenorchester, auf das der Kanzler seine Macht gründet, nicht überdecken können“, so Fischer. Die Grünen seien „mehrheitlich“ gegen eine Koalition mit der PDS auf Bundesebene. Seine Position sei: „Mit einer poststalinistischen PDS kann es keine Zusammenarbeit und keine Koalition auf Bundesebene geben, auch über 1998 hinaus nicht.“

CDU-Generalsekretär Hintze sprach sich gegen eine Mandatsrückgabe von Lengsfeld aus. Zwar freue er sich, daß die Mehrheit der Koalition im Bundestag nun gewachsen sei; sie sei aber schon vorher stabil gewesen. Franz Müntefering (SPD) hob hervor, daß Bürgerrechtler in allen demokratischen Parteien zu finden seien. Bislang habe die CDU aber noch nicht offengelegt, wie viele Mitglieder ehemaliger Blockparteien zu ihr übergetreten sind.

Thüringens bündnisgrüner Landessprecher Olaf Möller erklärte, er kenne niemanden, der Vera Lengsfelds Parteiaustritt bedauere. Sie sei im eigenen Landesverband schon lange „völlig isoliert“ gewesen und wäre zur nächsten Bundestagswahl wohl nicht wieder aufgestellt worden. „Diese Isolierung hat sie sich selbst zuzuschreiben“, meinte Möller: Die Landespartei wirft Vera Lengsfeld mangelnde Präsenz bei wesentlichen Themen vor. Vorhaltungen über die angebliche „Anbiederung“ der thüringischen Bündnisgrünen an die PDS wies Möller als „völlig unhaltbar“ zurück. Auf der Landesvollversammlung vor vier Wochen sei „unspektakulär“ klargestellt worden, daß man nach der Wahl über Möglichkeiten einer Zusammenarbeit mit der PDS entscheiden werde. „Es ging dabei überhaupt nicht um Koalitionen.“ Dieter Rulff/Philipp Gessler/Detlef Krell

Tagesthema Seite 3, Porträt Seite 11