Wo ist Zuhause, Mama?

■ Ein kleiner Überblick über die popmusikalischen Familienfeste

„Business as usual“ hört man dieses Jahr unisono von den Veranstaltern. Warum auch etwas anderes ins Programm heben als das, was das ganze Jahr lang Profil, grandiose Pleiten oder überraschende Festivitäten bescherte? Schon seit der Steinzeit bestreitet Jamaica „Papa“ Curvin den Heiligabend in der Markthalle ganjaselig mit gefestigtem Roots-Rock. Der in Eimsbüttel ansässige Schlagzeuger und Reggae-Leadsänger wird dabei von Bass Culture unterstützt. Mit aufgedrehtem fiedelndem Folk-Rock stemmen sich die Inchtaboktatables auch dieses Jahr gegen alle Besinnlichkeit unter dem Weihnachtsbaum und huldigen statt dessen in der Großen Freiheit dem Klabautermann. Wer es gern privater hat, kann Jochen Distelmeyer und die Sugar Chicken beehren, die Heiligabend und Sylvester schön familienfeindlich im Golden-Pudels-Club respektive Tempelhof hinter den Plattentellern verbringen. Da weiß man, was man hat. Auch schon Tradition am ersten Weihnachtsfeiertag ist der „Soul-Allnighter“ im Kir, der seit über zehn Jahren feinen Northern Soul vorführt, und der „HipHop X-Mas Jam“, der dieses Jahr das Docks verwüstet. Während der Britcore von Killa Instinct, No Remorze, Hijack und Gunshot den Weihnachtsspeck attackiert, bringen die einheimischen HipHop-Formationen Direct Action, 2 Ruff, R.A.F. und Cheeba Demonz die Lebkuchenherzen für ihre „pear group“ mit.

Am Sylvesterabend sieht es ganz ähnlich aus. Unter dem reichlich dämlichen Motto „Pirates Night“ wird das Docks auf allen Ebenen das neue Jahr „entern“. Während die große Halle querbeet turnt, feiert in der Prinzenbar der Shanty Wiederauferstehung, und „Neptun“ lädt in die labyrinthischen Backstageräume zu einer House-Party. Später versammelt sich dann um „6.a.m.-Eternal“-Gastgeber Sven Dohse an gleicher Stelle die House-Extravaganza der Hansestadt. Weniger aufgeregt wird das neue Jahr im Mojo Club unter dem Motto „Get Loose – The Final Showdown“ begangen. Das seit nunmehr sechs Jahren bewährte Mojo Collective wird unter dem Dirigenten DF Jazz den Tanzboden beschallen, der wie in seligen Zeiten zum Slippen and Sliden eingepudert wird. Dem etwas abgestandenen Blues-Brothers-Kult kann man alternativ in der Großen Freiheit fröhnen: „Still on a mission from God.“

Die avancierteste Veranstaltung der Festtage findet in der Markthalle statt, in der „Rock 'n' Rave 2“ die Generationenfrage stellt. Denn exakt vor 20 Jahren begann die Halle beim Hauptbahnhof mit ihrem gegenkulturellen Betrieb – nun tritt, unterstützt von der örtlichen Sammelstelle L–Age D–Or, auf allen drei Ebenen Rock gegen Rave an. Für den Rock starten Tocotronic, die sich mit Arne Zank ausgiebig beschweren werden, Schorsch „Die Jugend ist die schönste Zeit des Lebens“ Kamerun und die Loney Tunes (Illustration) aus Hamburg sowie der französelnde Easy Listening von Stereo Total aus Berlin. Für den Rave kommen mit Vertretern des Londoner Clear-Labels und des Wiener DiskoB-Labels jene Tonmanufakturen, die Digitales besser als alle anderen machten. Neben Clatterbox, die tief im Electro waten, wird der Labelchef Hal Udell höchstselbst an den Plattentellern werkeln und den österreichischen Nu-Techno von DJ Barbara ablösen. Sogar das getunte Foyer soll dem Anlaß gemäß in freundlicherem Lichterglanz erstrahlen. Anwesenheit ist Pflicht. vom