Erotische Formen stiften Ärger, Kirchenfenster stiften Frieden

■ Fotograf mußte seine Bilder aus der Szenekneipe „Gerken“ räumen / Proteste der Gäste wurden täglich vehementer

Gestern war für Werner Dreier ein harter Tag: Schweren Herzens mußte er am Nachmittag seine Fotoausstellung, die erst am Freitag dem 13. in der Gaststätte Gerken eröffnet worden war, wieder abhängen.

Die Bilder zum Titel „Erotische Formen aus Stein und Fleisch“ hatten zu heftigen Protesten der KneipenbesucherInnen geführt. Allabendlich hatten sich Gäste am Tresen beschwert und die Ausstellung als „frauenfeindlich und sexistisch“ kritisiert. Manche weigerten sich sogar, den Ausstellungsraum überhaupt zu betreten. „Das“, erklärt die Wirtin, „hält man nicht aus jeden Abend.“ Also beschloß sie, der Ausstellung ein schnelles Ende zu setzen.

Mit so einer Resonanz hatte Werner Dreier, Diplompädagoge, Gestalttherapeut und eben Fotograf, nicht gerechnet. Er kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen und findet die Fotos weder pornographisch, noch frauenfeindlich oder sexistisch. Schließlich habe er „keine breiten Schenkel und keine Vagina“ abgelichtet. Er habe lediglich „die Lust an schönen erotischen Formen“ ansprechen wollen.

Das mache er zum ersten Mal, räumt er ein. Bislang liefen seine Ausstellungen stets unter so harmlosen Titeln wie „Landschaften“, „Stilleben“ oder „Strukturen“. Doch die Bekanntschaft mit einer Frau habe ihn schließlich auf die Idee gebracht, die „Landschaften ihres Körpers“ zu fotografieren. Nicht das Gesicht, sondern eher Hintern und Busen, „weil die so hügelig sind“.

Und so sieht man diese Körperteile, mal verpackt in Leder oder schwarzes Netz, mal nicht. Bilder, von denen manche geradewegs dem Pornoheft entnommen sein könnten. „Ist das wahr?“ fragt Dreier überrascht, „ich gucke mir sowas nie an.“ Ihm gehe es um die Darstellung von Natur, von erotischen Formen an sich. Darum seien etwa auch zwei Bilder von Mohnblumen Bestandteil der Ausstellung, und außerdem Marienstatuen auf dem Friedhof: „Natur, Tod, Erotik, Leben“, sinniert Dreier, „das gehört ja alles irgendwie zusammen.“ Warum allerdings Männer so gänzlich bei ihm ausgespart bleiben, wo es doch schon um Erotik geht – diese Frage vermag Fotokünstler Dreier nicht zu beantworten. „Da habe ich noch nie drüber nachgedacht“, gesteht er. „Eigentlich eine gute Idee, das könnte man mal probieren“, sagt er vage.

In jedem Fall denkt er, daß er mit seinem Ansatz in einer Galerie mehr Erfolg haben könnte als in einer Kneipe. Dort, stellt er sich vor, würden seine Bilder eher als Kunst eingeschätzt: „Da ist ja doch ein anderes Publikum, eine andere Atmospäre als hier beim Bier.“ Darum will er versuchen, seine inkriminierten Werke denn auch zukünftig, „vielleicht unter einem anderen Thema“, in einer Galerie unterzubringen.

Womöglich ist diese Überlegung gar nicht so falsch. Denn tatsächlich gehen die Einschätzungen über das, was als Pornographie oder Kunst definiert wird, zuweilen sehr auseinander. Dies war wahrscheinlich ein Grund, warum niemand sich traute, den Fotografen bei der Ausstellungseröffnung persönlich anzusprechen. Keine/r wagte, seine Vorwürfe direkt an den Mann zu bringen, vielmehr wurde getuschelt und später bei der Wirtin am Tresen gemeckert.

Zu deren Überraschung. Sie findet zwar auch, daß einige der Bilder an der Grenze sind, aber das, versichert sie, sei kein Grund gewesen, diese abhängen zu lassen. „Ich hab gedacht, das geht. Wir sind doch keine Galerie. Ich dachte, wir sind eine Kneipe mit sehr offenem Publikum.“ Die heftigste Kritik, ist die Wirtin außerdem erstaunt, wurde von den männlichen Gästen geübt. Stachelt das Terrain der Kneipe den Beschützerinstinkt an? Schließlich hat Werner Dreier in einem Punkt recht: „Was man alles so im Fernsehen sieht, das ist doch viel frauenfeindlicher.“ Wie immer, weder Mann noch Frau haben bei Gerken noch etwas zu meckern: Werner Dreier tauschte gestern die Bilder seiner Bekannten aus gegen Fotos von sonnendurchfluteten Kirchenfenstern. dah