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Gefährlich sind die Gummiparagraphen

■ Das slowakische Parlament verabschiedet eine Strafrechtsnovelle

Prešov (taz) – Das slowakische Parlament hat am Dienstag die umstrittene Neufassung des Strafgesetzes verabschiedet. Besonders die Bestimmungen über den Staatsschutz hatten im In- und Ausland eine Einschränkung der Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit befürchten lassen. An der Abstimmung beteiligten sich nur 77 der 150 Abgeordneten, von denen 66 für das Gesetz stimmten. Auch Parlamentarier der Regierungskoalition, darunter eine große Gruppe der populistischen Arbeiterbewegung (ZRS), verweigerte sich dem Entwurf.

Aber selbst die verbliebenen 66 Hardliner strichen schließlich den berüchtigten Paragraphen 98. Er hätte BürgerInnen mit bis zu zwei Jahren Haft bedroht, wenn sie in Verbindung mit ausländischen Mächten oder „Sachwaltern fremder Interessen“ bewußt unwahre Angaben verbreiteten, die das Interesse der Slowakei beschädigten. Dieser Passus war noch in der ersten Version des Gesetzes vorhanden, die vom Parlament im März verabschiedet worden war. Wegen vermuteter Verstöße gegen die Verfassung hatte Staatspräsident Kováč die Unterzeichnung des Gesetzes verweigert und es an die Abgeordneten zurückverwiesen. Im neuen Gesetz sind auch einige Bestimmungen über den Landesverrat entschärft. Eine Ergänzung stellt klar, daß wirtschaftlich motivierte Streiks nicht als – gleichfalls strafbedrohte – Massenunruhen verstanden werden.

Doch der Paragraph 91 mit seiner weiten Auslegung des Landesverrats und Höchststrafen bis zu 15 Jahren blieb, ebenso wie der spezielle Straftatbestand der „Verletzung der finanziellen Disziplin“: Wer staatlichen Stellen Geld schuldet und dadurch einen beträchtlichen Schaden verursacht, dem droht eine Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten – dazu braucht nicht einmal Betrug im Spiel zu sein. So beklagt die Opposition jetzt vor allem die „Gummiformulierungen“ des neuen Gesetzes. Weil die neue Fassung von der alten abweicht, kann Präsident Kováč wiederum seine Unterschrift verweigern. Außerdem wird der Text wohl dem Verfassungsgericht vorgelegt werden.

Grundsätzlich hatte Mećiar neuen Bestimmungen zustimmen müssen, weil der nationalistische Koalitionspartner SNS sonst den slowakisch-ungarischen Aussöhnungsvertrag nicht mitgetragen hätte, der vom Westen kategorisch verlangt worden war. Insgesamt ist der Neufassung aber anzumerken, daß die Regierung keinen Bruch mit dem Westen riskieren wollte. Ein Durchmarsch der Hardliner hätte die Beitrittshoffnungen wohl beendet, weil dann vermutlich slowakische StaatsbürgerInnen politisches Asyl in der EU hätten beantragen können.

Indes will sich Premier Mećiar die in der Bevölkerung populäre EU- und Nato-Option noch erhalten. Die jetzige Entschärfung der Staatsschutzbestimmungen ist deswegen nur ein taktischer Rückzug. Unter Anspielung auf seinen zweifachen Sturz durch Oppositionelle hatte Mećiar am 7. März die Novelle begründet und zugleich durchblicken lassen, wie sehr er sein eigenes Schicksal mit dem der Slowakei gleichsetzt: „Wir wollen nicht mit Hilfe von Bajonetten und Polizisten regieren, aber wir lassen es nicht zu, daß die Republik von denjenigen zerrüttet wird, die es schon zweimal versucht haben!“ Dietmar Bartz

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