: „Die krampfhafte Fixierung auf Vergangenheit hat ein Ende“
■ Der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Werner Schulz zum CDU-Übertritt von Lengsfeld und anderen Bürgerrechtlern
taz: Herr Schulz, was darf die CDU von ihren Neulingen in Zukunft erwarten?
Werner Schulz: Frau Lengsfeld läuft Gefahr, das Schicksal des früheren CDU-Bundestagsabgeordneten Stefan Schwarz zu teilen, der auch für Menschen- und Bürgerrechte eintritt und damit bekanntlich einen schweren Stand hat. Die Bürgerrechtler Günter Nooke und andere können dort weitermachen, wo sie im Januar 1990 aufgehört haben, als sie beim Übertritt des Demokratischen Aufbruchs die Organisation verließen. Damals protestierte Nooke gegen die skrupellose Machtübernahme der Blockparteien durch die CDU. Nun tritt er einer CDU bei, die, was die eigene Vergangenheitsaufarbeitung angeht, noch weniger getan hat als die PDS.
Was halten Sie vom Signum der neuen CDU-Mitglieder „Freiheit oder sozialistische Experimente“?
Das brauche ich mir nicht vorwerfen zu lassen. Seit dem Sommer haben wir bei den Bündnisgrünen eine kontroverse Debatte über unser Verhältnis zur PDS geführt. Eine Koalition mit der PDS auf Bundesebene und eine Tolerierung wurden zuletzt auf der Bundesversammlung in Suhl definitiv ausgeschlossen.
Frau Lengsfeld hat ihren Übertritt mit der wackeligen PDS-Haltung ihres Thüringer Landesverbandes begründet.
Ich hätte mir gewünscht, daß sie ihr gesamtes moralisches Gewicht in Thüringen in die Waagschale geworfen hätte. Wenn ich ernsthaft eine PDS-Tolerierung oder gar Koalition verhindern will, kann ich das nur innerhalb der Grünen machen. Erstens will die CDU nichts von der PDS, zweitens wird Frau Lengsfeld auf diese Frage doch keinen Einfluß mehr haben.
Ist der Übertritt ein Verlust für ostdeutsche bündnisgrüne Identität?
Auf keinen Fall. Es geht nicht um die Pflege der Bürgerrechtler, sondern um die Bewahrung der Bürgerrechte und Menschenrechte.
Befürchten Sie prozentuale Verluste für die ostdeutschen Bündnisgrünen bei kommenden Wahlen?
Eher das Gegenteil wird eintreten. Nehmen Sie doch die große Ankündigung des Berliner Bürgerbüros. Das entpuppt sich doch jetzt als ein CDU-Akquirierungsbüro: Die Gründungsmitglieder Angelika Barbe, Günter Nooke, Vera Lengsfeld und Ehrhart Neubert sind alle bei der CDU gelandet – und Bärbel Bohley hat einen Job in Sarajevo durch das Auswärtige Amt bekommen. Dieses Büro zeigt doch, daß der Anspruch, den Opfern zu helfen, mißbraucht, ja beschädigt wurde.
Waren die Übertritte schon die – ostdeutsche – Belastungsprobe für die Bündnisgrünen?
Nicht im geringsten. Schwierig wird es erst, wenn auf Landes- oder Bundesebene Koalitionen mit der PDS angegangen werden. Vor solchen Gedankenspielen kann ich nur warnen.
Wird durch den Austritt von Frau Lengsfeld die innergrüne Debatte um DDR-Vergangenheit versachlicht?
Die krampfhafte Fixierung auf die Vergangenheit hat ein Ende. Insofern bedauere ich den Austritt nicht. Die Probleme sind andere als 1989: Heute stehen soziale Sorgen im Vordergrund und nicht die Angst, von der Stasi überwacht zu werden. Im ausschließlichen Graben in der Vergangenheit werden wir keine politischen Nuggets finden. Interview: Severin Weiland
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