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Kellner-Guerilla nimmt 200 Geiseln

■ Als Partyservice verkleidete peruanische Untergrundkämpfer bringen in der japanischen Botschaft Gäste eines diplomatischen Empfangs in ihre Gewalt. Freilassung aller ihrer inhaftierten Genossen aus Gefängnissen verlangt

Berlin (taz) – Als Floristen und Angestellte eines Partyservice verkleidet, sind Guerilleros der peruanischen Revolutionären Bewegung Tupac Amaru (MRTA) am Dienstag abend in die Residenz des japanischen Botschafters in Lima eingedrungen. Während eines Cocktailempfanges aus Anlaß des Geburtstages des japanischen Kaisers demaskierte sich das rund 20köpfige Kommando plötzlich, zündete mehrere Sprengsätze und erklärte die Anwesenden, darunter der peruanische Außenminister und zahlreiche Botschafter, zu Geiseln. Die Guerilleros drohten zu Redaktionsschluß, als ersten den peruanischen Außenminister Francisco Tudela zu erschießen, wenn die Regierung nicht auf ihre Forderungen reagiere. Sie verlangten, direkt mit Perus Präsidenten Alberto Fujimori zu verhandeln.

Nach einem Kommuniqué des Kommandos „Edgar Sánchez“, das der taz in deutscher Übersetzung vorliegt, fordern die Geiselnehmer allgemein die „Verpflichtung auf eine veränderte Wirtschaftspolitik“, um dann zum Kern ihres Anliegens zu kommen: Freilassung der rund 500 MRTA-Gefangenen, die in den Gefängnissen Perus einsitzen.

Die Guerilleros fordern, daß die Häftlinge und sie selbst in den peruanischen Regenwald gebracht werden – nicht ohne zuvor noch eine „Kriegssteuer“, sprich ein Lösegeld, kassiert zu haben.

Die Residenz des japanischen Botschafters wurde weiträumig von der Polizei umstellt, nachdem es in der Nacht zu Schießereien zwischen Geiselnehmern und Polizisten gekommen war. Verletzt wurden nach unbestätigten Meldungen bisher jedoch nur ein Guerillero und zwei Geiseln.

Perus Präsident Alberto Fujimori steht unter großem internationalem Druck, die Geiselnahme friedlich zu beenden. Aus aller Welt muß er Ratschläge entgegennehmen, wie mit der verfahrenen Situation umzugehen sei – das Auswärtige Amt in Bonn bot ihm gestern nachmittag recht hartnäckig Unterstützung durch Spezialisten des Bundeskriminalamtes an – schließlich befindet sich auch der deutsche Botschafter in der Gewalt der MRTA. Nach Angaben des österreichischen Botschafters, dem ein Telefonat nach draußen gestattet wurde, sind deutsche und österreichische Diplomaten gemeinsam im Badezimmer der Residenz untergebracht.

Die MRTA-Guerilleros sollen das Gebäude mit mehreren Sprengsätzen versehen haben. „Wir sind bereit, bis zur letzten Konsequenz für unsere Forderungen zu kämpfen“, soll der Anführer des Kommandos, der unter dem Namen Hemegidio Huerta Loyaza auftritt, einem peruanischen Radiosender gesagt haben. Wie zum Beweis, daß sie es wirklich ernst meinen, haben die Guerilleros gestern nachmittag – nach peruanischer Ortszeit in den Morgenstunden – einen Sprengsatz auf dem Dach des Gebäudes gezündet, wohl um zu verhindern, daß sich Scharfschützen der Polizei auf diesem Weg nähern. Im Anschluß daran konnten Angehörige, die sich inzwischen vor der Polizeiabsperrung der Botschaft versammelt hatten, erneut Schüsse hören, deren Herkunft aber zunächst unklar blieb. Bei Redaktionsschluß waren noch immer rund 200 Geiseln in dem Gebäude. Bernd Pickert Tagesthema Seite 3

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