: Für eine Stadt auf Abriß
Aufbauen, abbauen, neu bauen: Baudezernent Peter Gero möchte St. Pauli und am liebsten die ganze Stadt alle fünf Jahre erneuern ■ Von Heike Haarhoff
Hoch oben aus dem achten Stock des City-Hochhauses am Klosterwall wirkt die Hamburger Innenstadt wie eine Ansammlung kleiner Lego-Häuser mit Schienen und Wegen, die sich beliebig verschieben, abmontieren oder austauschen ließen. Wer hier arbeitet, soll stadtplanerische Visionen für den Bezirk Mitte entwickeln. Peter Gero provoziert: „Wir müssen uns daran gewöhnen“, sagt der Baudezernent und dreht den Kopf kurz in Richtung Fenster, so als liege dort unten die Idee für seine Überzeugung, „wir müssen uns daran gewöhnen, daß wir nicht auf Ewigkeit bauen“.
Weder immenser Büro-Leerstand in der City noch der derzeitige Kino-Neubau-Boom mit ungewisser Akzeptanz bereiten ihm Sorge. Notfalls, so Gero pragmatisch, „muß ein Gebäude eben nach fünf Jahren wieder abgerissen werden, wenn sich der Trend ändert oder sich herausstellt, daß sich das bauliche Konzept nicht trägt“. Das gelte auch für das neue Multiplex-Kino, das Claus Becker, Immobilienkönig von St. Pauli, und Hamburgs Kinokronprinz Hans-Joachim Flebbe bereits im kommenden Sommer an der Holstenstraße am Eingang zur Reeperbahn bauen wollen. Drei Kinosäle mit insgesamt 1600 Plätzen und einer Eingangshalle aus Glas sollen dort entstehen; das Filmtheater soll mit dem benachbarten „Kaufhaus der Sinne“ am Nobistor, das praktischerweise auch Claus Becker gehört, verbunden werden.
„Natürlich sind die vielen Kinos ein wackliges Geschäft“, gibt Gero zu. Aber: „Eine Stadt ist nie fertig.“ Es gehe darum, flexibel auf wirtschaftliche Veränderungen zu reagieren, weniger aufwendig „und nicht unbedingt mit Edelstahl und Marmor“ zu bauen, um anschließend durch Abriß „Freiräume für städtebauliche Visionen“ zu schaffen. Ressourcenverschwendung? Peter Gero winkt ab: „Ein Generationenproblem.“ Er will „konsumaktive Gedanken“ ganz bewußt zulassen: „Sonst ist man doch total frustriert.“
Einem der prominentesten Hamburger „Freiräume“, den Spielbudenplatz auf St. Pauli, will sich Gero 1997 vornehmen. Seit Jahren liegt die Fläche brach; Gero schwebt vor, sie pflastern zu lassen und die Spielbudenplatzstraße gleich mit. Der Anlieferverkehr müßte seine Ware künftig bis 11 Uhr morgens gebracht haben. Danach stünde das rechteckige, langgezogene Gebiet ausschließlich Fußgängern, spielenden Kindern oder ausstellenden Künstlern zur Verfügung, einzig in seiner Mitte weiterhin durchbrochen durch die Taubenstraße.
Der Inselcharakter des Platzes wäre aufgehoben; benachbarte Theater, Kneipen und das Operettenhaus könnten bei warmen Temperaturen Tische und Stühle nach draußen stellen. Ansonsten keine Bebauung. Für mehr Lebendigkeit könnte auch ein Abendmarkt für Leute sorgen, die aufgrund von Arbeitszeit oder Tagesrhythmus erst nach 20 Uhr einkaufen gehen können oder wollen.
Die Kosten für die Umgestaltung, Peter Gero schätzt sie auf zwei Millionen Mark, „müssen privat finanziert werden“. Denn, so fragt er sich, „wie soll ich das den Leuten vor Ort anders vermitteln, wenn die gleichzeitig Arbeitsplätze im Hafenkrankenhaus verlieren, Bücherhallen und andere soziale Einrichtungen dicht gemacht werden?“ Im übrigen, weiß Gero, „funktionieren Konzepte nur, wenn das örtliche Management mit einbezogen wird“. Immer nach dem Motto: Gegen den internationalen Einheitsguß, für den Erhalt des lokalen Kolorits.
In seinem Eifer, St. Pauli, den prominentesten Stadtteil seines Reichs, planerisch aufzuwerten, ist Gero gelinde gesagt nicht unumstritten: Eines der größten Haßobjekte der bezirklichen Opposition und vieler AnwohnerInnen, vor Jahren von ihm mit finanzkräftigen Investoren ausgedealt, wurde gestern mit einem Kranz geschmückt. Das neue Millerntorhochhaus, ein architektonisch langweiliges (Kleffel, Köhnholdt, Gundermann) elfstöckiges Büro- und Geschäftshaus, feierte Richtfest. 300 Millionen Mark hat der schnöde Bau verschlungen; in einem Jahr sollen die ersten Mieter (unten Läden, oben Büros) die 37.500 Quadratmeter bevölkern.
Gero ist überzeugt, daß der Rohbau den Eingang zur Reeperbahn zieren wird. Skepsis aber macht sich im Stadtteil breit: Noch mehr toter Büroraum wird gefürchtet. Viele, die sich stadtteilbezogene Nutzung gewünscht hätten, beklagen, an den eigenmächtigen Planungen des Bezirks unzureichend beteiligt worden zu sein. Und außerdem, schwelgte so mancher Richtfest-Besucher in verklärten Erinnerungen, sei doch das Iduna-Hochhaus, Asbest hin oder her, mit seinen 23 Stockwerken und dem klassischen 50er Jahre Baustil das „wahrere Wahrzeichen“ St. Paulis gewesen.
Peter Gero beeindruckt das wenig: Wozu sich jetzt über einen mißlungenen Baukörper ärgern, wenn es doch Abrißbagger gibt...
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