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Kein Maulkorb für Cora Jacoby

■ Arbeitsgericht erklärt Abmahnung gegen Neuköllner Assistenzärztin für ungültig. Die öffentliche Kritik am Krankenhaus ist durch die Meinungsfreiheit geschützt

Der Rechtsstreit um die Äußerungen der Ärztin Cora Jacoby in einer Fernsehsendung ist beigelegt. Das Arbeitgericht entschied gestern, daß die Abmahnung gegen die 36jährige Ärztin, die im Krankenhaus Neukölln beschäftigt ist, aus der Personalakte getilgt werden muß. Die außerordentliche Kündigung und das Hausverbot wurden für rechtsunwirksam erklärt. In der Urteilsbegründung sagte Arbeitsrichter Achim Riedel, daß Jacobys Äußerungen durch die Meinungsfreiheit, die im Artikel 5 des Grundgesetz verankert sind, geschützt seien, auch wenn sie als Tatsachenbehauptungen angesehen werden müßten.

Die Krankenhausleitung hatte die 36jährige Ärztin im September vom Dienst suspendiert, Hausverbot erteilt und ein Verfahren zur fristlosen Kündigung eingeleitet, obwohl der Personalrat die Kündigung abgelehnt hatte. Anlaß war eine Fernsehsendung des SFB, in der Jacoby den Bettennotstand in den Krankenhäusern kritisiert hatte. Dort hatte Jacoby gesagt, daß „wir Menschen früh entlassen, bevor sie richtig ausgeheilt sind“. Die Krankenhausleitung bezog die Äußerungen Jacobys allein auf das Krankenhaus Neukölln. Sie mahnte Jacoby ab, weil sie keine Namen von betroffenen PatientInnen nennen wollte. Vom Dienst wurde Jacoby, die auch Mitglied im Vorstand der Ärztekammer ist, schießlich suspendiert, als sie sich in Zeitungsinterviews über ihre Abmahnung äußerte.

In der gestrigen Sitzung des Arbeitsgericht führte Richter Riedel noch einmal die umstrittene Sendung als „Beweisaufnahme“ vor. Dort äußerten sich nicht nur Jacoby, sondern auch weitere Beschäftigte von anderen Krankenhäusern kritisch über fehlende Betten und die schlechte Versorgung in den Krankenhäusern.

Der Personalrat des Krankenhauses Neukölln, Volker Gernhardt, begrüßte das Urteil: „Die Entscheidung macht klar, daß Ärzte und andere Berufsgruppen sich innerhalb und außerhalb eines Betriebes über Mißstände äußern dürfen.“ Der Vorsitzende der Ärztekammer, Ellis Huber, übte Kritik an der Krankenhausleitung. Wer einen solchen Konflikt produziere, der sei entweder einem Krankenhausbetrieb nicht gewachsen oder verfolge klare politische Ziele, nämlich einen Maulkorb zu verhängen und Ärzte zu disziplinieren.

Cora Jacoby sagte gegenüber der taz, daß sie auch zukünftig wieder ähnlich kritisch äußern würde, denn „die Situation an den Krankenhäusern hat sich noch verschärft“. Zwar sei der Bettennotstand noch nicht so dramatisch wie im vergangenen Winter, jedoch verursache der Personalabbau große Probleme. Julia Naumann

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