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Kein Deal mit Präsident Milošević

■ Serbiens Opposition lehnt Neuwahlen ab. Die OSZE will in Belgrad neu wählen lassen

Belgrad (taz) – Joran (21), Student der Elektrotechnik, war schon am ersten Tag der Demonstration dabei. Und er ist es auch am 30. Er hat Zajedno gewählt bei der Kommunalwahl am 17. November, „wie die meisten anderen“. Und er demonstriert weiter, damit das Wahlergebnis, das die Wahlkommission in Belgrad schon bestätigt hatte, anerkannt wird, auch von Präsident Slobodan Milošević. Daß Milošević zurücktritt, glaubt er nicht, aber daß er um die Anerkennung der Wahlergebnisse nicht mehr herumkommt, da ist sich Joran ziemlich sicher.

„Wir werden keinen Deal machen, wieviel Milošević auch nachgibt“, sagt Mirjana Drasković, die militante Ehefrau des Chefs der Serbischen Erneuerungsbewegung und Zajedno-Führers, Vuk Drasković. Während er sich nach der Kundgebung von seinen Anhängern, darunter mehrere Tschetniks, abküssen lassen muß, gibt Mirjana Drasković Autogramme auf kleine Zettel oder auf Zeitungen, die ihr hingehalten werden. Und sie gibt die Autogramme gern. Es ist unverkennbar, daß ihr die Publizität gefällt.

Aus den Lautsprechern an der Terazije, dem zentralen Platz in Belgrad, schallt serbische Volksmusik. Auch Joran, der Student, sagt: „Ich mag diese Musik. Es sind alte serbische Lieder.“ Getragene Weisen voller Melancholie hallen über den Platz. Eine blonde Frau schwenkt ein serbisches Papierfähnchen und wiegt sich im Takt.

Das serbische Oppositionsbündnis Zajedno zählt die Demonstrationstage genau. Am Balkon im dritten Stock eines Bürohauses an der Terazije, dem Sitz von Zajedno, prangt in blauer Farbe auf weißem Karton ein Pappschild: „30. Prat“. Die 37 Tage der Demonstration von Prag will und wird Zajedno vermutlich übertreffen. Daß der serbische Protest in der gleichen Zeit dieselbe Wirkung erreichen wird wie in Prag 1989, erscheint aber höchst unbestimmt.

„Wir werden nochmals mindestens einen Monat demonstrieren“, sagt Mirjana Drasković. „Und Neuwahlen, wer immer sie vorschlagen wird, werden wir nicht akzeptieren“, fügt sie hinzu. Und spielt damit auf eine mögliche Vermittlerrolle der OSZE an, die unter Leitung des früheren spanischen Ministerpräsidenten Felipe Gonzáles einen Kompromiß aushandeln will. Eine Vorvereinbarung zwischen der OSZE und Milošević soll es bereits geben. Danach soll der Sieg der Opposition in allen Städten, außer in Belgrad anerkannt werden. Außerdem hat sich die OSZE damit einverstanden erklärt, daß die Wahlen in Belgrad wiederholt werden.

Die meisten der vielleicht 30.000 Demonstranten sind an diesem Abend schon die Knez Mihailova, eine bedeutende Verkehrsader Belgrads, hinabgezogen. Die Polizei hat die Straße für den Verkehr gesperrt. Dennoch warten die Demonstranten an den Kreuzungen geduldig ab, bis die Fußgängerampeln wieder auf Grün schalten. Polizisten treten nur als Verkehrsregler in Erscheinung, ansonsten sieht man sie nicht.

Knapp 2.000 Unentwegte halten noch wie Joran auf der Terazije aus. Doch schon vor der Abfahrt des Lautsprecherwagens von Zajedno haben sich die nahegelegen Cafés und Geschäfte gefüllt. Es sind aber nicht nur Demonstranten, die noch durch die Stadt ziehen. Die Temperaturen, die auch an diesem Abend noch eine zweistellige Höhe erreichen, laden zu einem Bummel geradezu ein. Das ungewöhnlich milde Dezemberwetter aber läßt an einem keinen Zweifel: Petrus steht nicht auf der Seite von Milošević. Georg Baltissen

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