Deserteure vorerst noch nicht rehabilitiert

■ Exsoldaten mit gemischtem Verständnis für Wehrmachtdeserteure. Generationenstreit im Bundestag

Berlin (taz) – „Was früher Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“, behauptete einst Hans Filbinger, früherer Ministerpräsident von Baden-Württemberg und noch früherer NS-Militärrichter. „Unrecht muß Unrecht genannt werden“, hält der SPD-Bundestagsabgeordnete Volker Kröning dagegen. Seit zwei Jahren versucht er, im Rechtsausschuß des Bundestages die Rehabilitierung von Wehrmachtdeserteuren durchzusetzen. Kein leichtes Unternehmen.

Auch Norbert Röttgen, für die CDU im Rechtsausschuß und um einen Beschluß bemüht, gibt zu, daß er die Brisanz des Themas unterschätzt habe. Viele ehemalige Wehrmachtsoldaten können sich offenbar nicht mit dem Gedanken anfreunden, Deserteure zu rehabilitieren. „Was meinen Sie, was ich an Briefen über den Präventivcharakter des Zweiten Weltkrieges bekommen habe?“ fragt der CDU-Abgeordnete.

Röttgen und Kröning sind sich einig: Ein Beschluß muß her, und zwar mit breiter parlamentarischer Mehrheit. 30.000 Todesurteile verhängten die Kriegsgerichte bis 1945 gegen Deserteure, mehr als 25.000 wurden vollstreckt. Heute leben noch etwa 200 Männer, rechtskräftig wegen Desertation verurteilt. Röttgen und Kröning wollen nicht nur ihre Rehabilitierung, sondern auch eine finanzielle Entschädigung. Der SPD-Politiker ist der Meinung, daß der Gesetzentwurf, den der Bundesrat am Donnerstag auf Initiative Sachsen- Anhalts verabschiedet hat, in die richtige Richtung gehe. Der Entwurf sieht die Rehabilitierung und eine Entschädigung vor. „Das war notwendig“, sagt Kröning. Sein CDU-Kollege ist sich da nicht so sicher.

Einig ist man sich, daß eine Rehabilitierung keine Abqualifizierung der Soldaten sei, die in der Wehrmacht gekämpft haben. Es gehe nur darum, das an den Männern begangene Unrecht wiedergutzumachen: Schließlich habe es sich um Desertationen aus einer Armee gehandelt, die einen völkerrechtswidrigen Krieg geführt habe. Einig ist man sich auch, daß eine Desertation heute eine Straftat ist und bleibt: „Ein Analogieschluß auf die Gegenwart muß unbedingt vermieden werden“, sagt Kröning, „es geht keinesfalls darum, die Bundeswehr zu disqualifizieren.“ Einig ist man sich schließlich auch, daß nicht rehabilitiert werden darf, wer tatsächlich Unrecht begangen hat, indem er zum Beispiel einen Wachoffizier erschossen hat.

Warum gibt es bei soviel Einigkeit noch keinen Beschluß? Jürgen Röttgen: „Es ist sehr, sehr schwierig. Es gibt ein Generationenproblem quer durch die Gesellschaft und somit auch innerhalb der Fraktionen. Da muß noch sehr viel diskutiert werden.“ Kröning: „Der Beschluß kommt im nächsten Vierteljahr.“ Röttgen: „Das dauert noch ein halbes Jahr.“

Hannes Heer vom Hamburger Institut für Sozialforschung hält es für einen „absoluten Skandal“, daß die Frage der Rehabilitationen mehr als 50 Jahre nach Kriegsende noch nicht geklärt sei. Für ihn zeigt die lange Diskussion, daß die revisionistischen Kräfte in der Bundesrepublik stärker seien, als man vermutet habe. „Man muß sich von der Selbstsicherheit der 70er Jahre verabschieden, als man dachte, die Bewältigung schreite voran.“ Florian Gless