: Der Kampf ums Greuel
Tests beweisen: Stamperl-Sets, rosane Schwäne und röhrende Hirsche auf Gobelin haben eine friedenstiftende Wirkung ■ Von Dora Hartmann
Weihnachtsfeiern sind nicht ohne. Ihre Tücke liegt darin, daß man nie vorher weiß, ob sie zum Sterben langweilig oder zum Kreischen witzig sind. Diese Spannung hält man schlecht aus. Doch es gibt ein Mittel, mit dem sie sich spielerisch auflöst: Sein Name ist „Greuel“.
Greuel kommt in jedem Haushalt vor. Greuel liegt auf dem Boden, modert im Keller, schläft in Vitrinen oder Ikea-Kisten und schmückt ganze Regalwände. Bei gediegenen MitbürgerInnen steht es auf dem Fensterbrett, genau in der Mitte, da, wo sich die Raffgardine teilt. Dabei kann es verschiedenste Formen aufweisen: gern erscheint es in einem Gewande aus dem Bereich der Flora oder Fauna. Gläserne Farne jedoch kommen etwas seltener vor als tönerne Miezekatzen, Fische oder Hunde. Auch Tauben aus Porzellan sind zur Zeit noch Raritäten. Und der röhrende Hirsch aus feingewirktem Gobelin gehört leider zu den aussterbenden Tierarten.
Aussterbendes ist immer heiß begehrt. So wäre es um ein Haar gestern in einem kleinen Ort bei Bassum – was wiederum in der Nähe von Bremen liegt – zu einer Schlägerei gekommen. Dort trafen sich die MitarbeiterInnen einer Firma, die aus guten Gründen ungenannt bleiben möchte, zum alljährlichen Weihnachtsfeste. Die Dankesrede des bibelbewaffneten Chefs war schon geduldig ertragen, die besten Sachen vom Buffet geklaubt worden. So gestärkt ging es, allen Warnungen zum Trotz, ans Greuel-Spiel. Die Regeln:
Jeder bringt ein Greuel mit. Einen Gegenstand also, der so häßlich ist, daß es dir die Fußnägel hochklappt. Das Greuel wird, möglichst gesäubert, nett verpackt, damit eine weihnachtliche Stimmung aufkommt. Alsdann beginnt die Runde mit Würfeln. Wer eine Sechs hat, darf sich ein Päckchen aussuchen. Die nächste Sechs erlaubt das Auspacken.
Und dabei geht's meistens schon los mit dem Neid. Wer möchte nicht einen Keramikhund besitzen, der, wenn man eine Schnur mit der Steckdose verbindet, anfängt, mit seinen roten Augen zu blinken? Oder das Katzenpärchen aus weißem Porzellan, zu verwenden auch als Salz- und Pfefferstreuer? Auch schön das 13teilige Kaffeebesteck mit imitierter Goldauflage, garantiert unbenutzt und noch in Plastikfolie.
Sämtlichst Dinge, um die in Bassum hart gerungen wurde. Immer auf's Neue, denn bei einer Sechs in der dritten Würfelrunde konnte nicht, es mußte getauscht werden. Wer da sein Herz zu früh an die Materie gehängt hatte, mußte mit einem miesen Abend vorlieb nehmen. „Das geb ich nicht her“, glaubten gleich mehrere, ihre Habe allein mit der Kraft der Worte verteidigen zu können.
Nichts da, der Keramikhund mußte von der Leine gelassen werden, im Tausch gegen das Buch „Die Krise als Chance“. Ein Mitarbeiter mußte sich von seiner Dudelsack-CD lösen und erhielt dafür ein Paar Schildpattohrringe. Eine geschmacklose, also farblich perfekte, aber leicht perforierte Männerbadehose ging durch die Sechs verlustig, dafür erhielt die Eben-noch-Besitzerin ein Greuel der Jetztzeit: eine Vase in „blö“ auf dreibeinigem Metallfuß.
Worum allerdings der härteste Kampf gerungen wurde, war der Wandbehang mit dem röhrenden Hirschen – ein gnadenloses bayerisches Stilleben auf türkisch-chinesischem Hintergrund. Dagegen war selbst das urinfarbene Stamperl-Set in Fischform ein ganz geringes Greuel.
Allen war klar, daß der Hirsch, mit Schwarzlicht angestrahlt, in grellen Farben leuchten würde. Alle wollten ihn haben, diese Explosion geballten Hoffnungsschimmers. Es wurde gefeilscht, was das Zeug hielt.
Jenem Spieler, der die Uhrzeit für die Tauschrunde festgelegt hatte, wurde für den Fall der Nichtverlängerung rohe Gewalt angedroht. Doch all das nützte nichts. Der Hirsch blieb auch die letzten Knobelrunden bei der Chefin der Firma. Natürlich! Aber was soll's, Weihnachten ist das Fest der Liebe und Vergebung. Außerdem war die Chefin ganz gerührt und glücklich, als sie zugab: „Den hol ich mir raus, wenn ich mal traurig bin.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen