Herausgefordert

■ betr.: „Die Nostalgiefalle“, taz vom 12. 12. 96

Jens König meint, der Slogan „Meine Biographie beginnt nicht erst 1989“ habe für viele PDS- Mitglieder den Weg zu kritischer Selbstbefragung verbaut. Eine These, die mich zur Stellungnahme herausfordert. Schließlich habe ich unter diesem selbst – nicht von einer Marketingagentur – entwickelten Motto 1993 meinen Wahlkampf um das Amt des Oberbürgermeisters von Potsdam geführt, meine Biographie dürfte auch den taz-Lesern hinlänglich bekannt sein.

Jens Königs Argumentation erscheint mir reichlich absurd: Wieso werden ausgerechnet bei einem Bekenntnis zur eigenen Biographie die Verhältnisse in der DDR „plötzlich anonym“, wenn sie damit doch gerade konkret, anfaßbar, auseinandersetzungsfähig werden? Dieses Reiben konkreter Lebensläufe war schließlich der Kern der Auseinandersetzungen der letzten Wochen in der PDS- Bundestagsgruppe, die in einem greifbaren, weil – wie ich meine – ehrlichen Zwischenergebnis mündeten. Wieso ist es schlecht, wenn Identifikation mit der DDR als „sozialem Gebilde“ zunimmt? Identifikation bedingt doch gerade Auseinandersetzung, eben weil die DDR als „sozialistisches Projekt“ in seinen Ergebnissen so ambivalent, so fragwürdig, eben tatsächlich ein „Gebilde“ war.

Ich meine: Gerade ein Bekenntnis zur DDR als „sozialistischem Projekt“ würde gelebten DDR- Bürgern viel eher den Weg in die höchst fragwürdige, ebenfalls ambivalente Realität der Bundesrepublik verbauen, aus der heraus – und nicht aus glorifizierten „Projekten“ – um gesellschaftliche Reformalternativen gerungen werden muß.

Jens Königs Ansicht, das politische Klima in der BRD sei für differenzierte Sicht auf die DDR mittlerweile besser geworden, ist – gelinde gesagt – höchst blauäugig. Das erfahre ich Woche für Woche in den Sitzungen der Enquetekommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der Deutschen Einheit“. So rieben sich am 3. Dezember selbst seit Jahren im Osten arbeitende westdeutsche Journalisten und Chefredakteure – gewiß keine PDS-Sympathisanten – erstaunt die Augen, als Konrad Weiß namens der Enquete-Mehrheit seine sauber gestanzten Fertigstücke zur Rolle der Medien in der DDR und der „subversiven Rolle der PDS“ in den Zeitungen der neuen Länder abließ.

Einzelne, wie offensichtlich auch Jens König, können gewiß ihre Biographie erst 1989 beginnen lassen – nicht aber eine ganze Bevölkerung. Gerade aus solcher psychischen Demütigung kann gesellschaftlicher Sprengstoff erwachsen, der weder in eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben, noch im Engagement für eine demokratische, soziale und ökologische Wende mündet. Mit ihm dürften viel eher tot geglaubte Geister in neuem Gewand auferstehen, die Deutschland und Europa schon einmal in diesem Jahrhundert in den Abgrund rissen. Sicher: Schönhuber ist politisch tot – aber Haider höchst lebendig.

Auch deshalb wird die PDS weder die DDR „bewältigen“, noch damit „von vorn anfangen“, sondern sich weiter Tag für Tag mit der Gesellschaft, mit dem Leben, aus dem sie hervorkam, auseinandersetzen. Auch wenn ihr dies nicht leicht gemacht wird. Rolf Kutzmutz,

wirtschaftspol. Sprecher

der PDS-Bundestagsgruppe,

Potsdam/Bonn