■ Glosse: Paraxenon
Die Ambivalenz ist unser Lebensstil. Mindestens zwei Sprachen, zwei Länder, zwei Pässe – von mir aus könnten es mehr sein, eine Green Card hätte ich beispielsweise gern, für alle Fälle. Außerdem ist das Kind im Amerikaner voll nach meinem Geschmack, da gibt es irgendwie eine Affinität zwischen Spielbergs Spielereien und der Leuchtgondole im Wandschrank meiner Nachbarn aus Konya. „Nach Hause telefonieren“ tue ich jede Woche mehrmals, und mit den freundlichen Aliens hat man mich in meinem Leben sowieso schon immer identifiziert. Nun leben wir nicht in Amerika, und statt der grünen Karte habe ich seit kürzestem den weinroten EG-Paß in der Tasche, was mich aber keinesfalls privilegiert, denn ich bin damit einfach zu spät gekommen.
Das Leben bestraft mich nun, wenn ich im Flughafen zum vermeintlich leeren EG-Schalter eile und dort wieder ewig Schlange stehen muß, weil mittlerweile einfach zu viele Aliens denselben Sternchen-Paß in der Tasche haben wie ich. Als ich nach jahrelangen Behördengängen (ich gebe zu, daß ich sie wegen meiner ambivalenten Gefühle verschleppt habe) neulich meine Einbürgerungsurkunde abholen ging, zog ich mir demonstrativ meinen ältesten Pulli an und war gegen alle hohen Reden gewappnet. Aber auch dieser Spaß wurde mir vorenthalten. Der junge Urlaubsvertreter der alten Sachbearbeiterin, die mir hundertprozentig im Stehen eine feierliche Rede gehalten hätte, schob mir zwischen leeren Cola-light-Dosen die Urkunde über den Tisch und ließ mich gelangweilt die Papiere unterschreiben. Zuhause angekommen, plazierte ich meine Urkunde im schwarzen Billy-Regal, wo sie sich wirklich sehr gut machte. Gegen Abend traf der männliche Part unserer Kernfamilie ein (ein Altdeutscher), und ich fragte ihn: „Wo sind meine Blumen?“ worauf er ganz verlegen entgegnete, daß er ursprünglich welche mitbringen wollte, aber Angst gehabt hätte, den Strauß auf den Kopf geknallt zu bekommen. Fairerweise gab ich zu, daß ich dies tatsächlich getan hätte, denn ich würde mich ja nicht um dieses Stück Papier reißen. Als rational-modern denkender Mensch verstand er meine trotzdem eingetretene Enttäuschung nicht und erklärte das wohl mit der Ambivalenz, die dem Fremden immer innewohnt. Ein Freund aus Harvard, der gerade in Berlin seine Doktorarbeit über türkische Jugendliche in Germany schreibt, sagte auf diese Episode, daß ich als Minderheit auf jeden Fall das Recht aufs Meckern hätte: Über den Blumenstrauß, der mitgebracht wird oder eben fehlt. Wie wunderbar ist es, der Minderheit anzugehören.
Alle Aliens hierzulande, die ich kenne, meckern sowieso unentwegt. Über Weihnachten und Ostern, über das kalte Wetter (die Deutschen hätten sich ja woanders ansiedeln können), über die Unfreundlichkeit der Menschen, über zuviel Sauberkeit, zu viele Regeln, zuviel Bürokratie und fehlende oder mitgebrachte Blumen. Zu den meisten dieser Punkte habe ich eine ambivalente Meinung. Was Weihnachten angeht, finde ich die Heuchelei zum Schreien, aber die Geschenke ganz in Ordnung. Schneien könnte es von mir aus den ganzen Winter über, die überschwappende Freundlichkeit der Menschen im Süden nervt mich manchmal sehr, Istanbul kommt mir jedesmal noch etwas verdreckter vor, die türkische Bürokratie steht der preußischen in nichts nach. Manchmal denke ich, daß sich das Leben von uns Halbfremden sowieso immer nur unterwegs abspielt. Die Griechen sagen „paraxenon“ dazu, ein ausgesprochen schönes Wort für ein ambivalentes Dasein. Dilek Zaptçioglu
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