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Lesetips

Ute Scheub, Inland-Redakteurin Foto: M. Ruiefer

1996 wird kein gutes Weinjahr, es war auch kein gutes Buchjahr, finde ich. Viel geschrubseltes Geschreibsel, dem die Reife, Süße, Schwere fehlte. Die Rettung: die Kinderbücher meines Sohnes. Mein ständig vorgelesenes Lieblingsbuch ist „Die Werkstatt der Schmetterlinge“.

Kongenial illustriert von Wolf Erlbruch, erzählt die ebenso schöne wie feministische nicaraguanische Schriftstellerin Gioconda Belli die ebenso poetische wie antibiblische Geschichte von den Gestaltern aller Dinge. Angeleitet von der weisen Alten, die zum Glück von niemanden als Göttin angebetet wird und auch eher aussieht wie eine kluge Indiofrau, entwarfen die Gestalter aller Dinge vor langer Zeit alle Pflanzen und Tiere, die auf dieser Erde kreuchen und fleuchen.

Einer von ihnen, der junge Rodolfo, hat es sich in den Kopf gesetzt, ein Wesen zu schaffen, „das wie ein Vogel und gleichzeitig wie eine Blume sein sollte“. Doch bei all seinen Entwürfen in der „Insektenwerkstatt“ kommen doch immer nur Fledermäuse, Libellen oder Fliegen heraus. Eines Tages aber... Und seitdem ist die Welt zu Millionen bevölkert von jenen schillernden Wesen, die „wie das Niesen des Regenbogens“ sind.

Giocondo Belli, „Die Werkstatt der Schmetterlinge“, Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1995, 42 Seiten, 36 DM

Dieter Rulff, Politischer Korrespondent Foto: W. Borrs

Die vielbeschworene Angleichung der Lebensverhältnisse wird nicht jenes Maß an Gerechtigkeit hervorbringen, das den Ostdeutschen die Lebensgefühle vermittelt, um derentwillen sie die Einheit überhaupt anstrebten. Schlimmer noch. Ständig nach Zuwendung greinend, graben sie den Westdeutschen die Lebensgrundlagen ab, um derentwillen sie doch die Einheit wollten. So sehnen sich beide Seiten insgeheim nach dem jeweiligen Urzustand zurück. Einen Ausweg aus diesem deutsch- deutschen Dilemma, einen, der den erwünschten westlichen Wohlstand mit dem maroden östlichen Zustand aufs einträglichste zu verbinden weiß, hat der Ostberliner Philosoph Jens Sparschuh gefunden. Dieser Ausweg mündet bekanntermaßen im „Zimmerspringbrunnen“, ein ironischer und leicht geschriebener Roman, der noch immer zu den Rennern im ostdeutschen Geschäft zählt. Die Idee, einen westdeutschen Quell verkaufsträchtig für ein ostdeutsches Motiv zu nutzen, ist so bahnbrechend, daß sie getrost immer empfohlen werden kann.

Jens Sparschuh, „Der Zimmerspringbrunnen“, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1996, 160 Seiten, 29,80 DM

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