Der lange Abschied

■ OSZE-Untersuchung bringt Milošević in die Defensive

Lang hat Felipe González nicht gebraucht, um seinen Untersuchungsbericht über die Kommunalwahlen in Serbien respektive deren Teilannullierung dem Schweizer OSZE-Präsidenten zu unterbreiten. Weil das Ergebnis absehbar war, hat sich Slobodan Milošević vorher, auf der Kundgebung seiner Getreuen in Belgrad, vorsorglich jede Einmischung „in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates“ verbeten. Das Argument hätte vor Dayton die Serben um ihn geschart, jetzt ist es schal geworden und wirkungslos.

Denn nicht nur geschah die Untersuchung der OSZE-Experten mit Einverständnis des serbischen Präsidenten. Es fällt den regierenden Sozialisten darüber hinaus schwer, mit dem Lieblingsinstrument nationaler Demagogie zu hantieren: dem gerechten Kampf gegen die internationale Verschwörung, deren Opfer die Serben stets waren und jetzt erneut zu werden drohen. 80.000 Einwohner Belgrads, die gestern die Resultate der OSZE-Untersuchung bejubelten, bezeugen den Stimmungswandel, zumindest in der Hauptstadt. Die OSZE erscheint, unabhängig davon, was sie wirklich darstellt, als Sinnbild für den Ort, wohin man zurückkehren möchte: nach Europa.

Die OSZE als Organisation ist machtlos, aber hinter ihr verbirgt sich die Staatenkoalition, die das Dayton- Abkommen aushandelte. Wenn González jetzt dazu auffordert, den Willen des Volkes zu respektieren, so rückt er von der bisherigen Linie der Signatarstaaten des Dayton-Abkommens ab, Milošević zwar zur Mäßigung zu ermahnen, die „Bereinigung“ der Situation samt möglichen Kompromissen aber ihm zu überlassen. Eine Lösung nach dem Muster „Ihr bekommt Niš, aber wir behalten Belgrad“ ist jetzt nur noch schwer vorstellbar.

Das Ergebnis der OSZE-Untersuchungsgruppe läßt Milošević nur die Wahl zwischen politischem Rückzug und offener Unterdrückung der Opposition. Wie riskant der Rekurs auf die nackte Gewalt ist, zeigt die warnende Stimme des Präsidenten von Montenegro, mit dem Serbien heute die Bundesrepublik Jugoslawien bildet. Milošević möchte nächstes Jahr aus der serbischen in die Bundespräsidentschaft überwechseln. War es ein Zufall, daß sich Felipe González mit seinem Appell ausgerechnet an das Führungsgremium des Bundes wendete? Christian Semler