Der Werfer-Basar boomt

Die Kaufwut deutscher Handball-Manager ist ungebremst, doch das hohe finanzielle Risiko lohnt sich nur, wenn der gewünschte Erfolg eintritt  ■ Von Jörg Winterfeldt

Bevor die Nettelstedter Handballverantwortlichen ihn unter ihre Fuchtel nahmen, hatte Talant Duschebajew sehr seriös ausgesehen: Dunkles Hemd und Sakko, dezente Krawatte – die Kleidung modisch chic, die Rasur akkurat. Dann behängten die Mindener Vereinsfürsten den Spanier kirgisischer Herkunft mit ihrem knallroten Klubschal, verzierten sein Haupt mit einem Alpenhut samt Klublogo und drückten ihm einen vereinsfarbenen Teddybären in die Arme. Plötzlich wirkte der wehrlose Ballwerfer bei seiner öffentlichen Vorstellung wie ein Asiat mit Losglück auf dem Rummel.

Duschebajews Verpflichtung ist der letzte und größte Coup der kaufwütigen deutschen Handball- Bundesliga, seit der Kicker Bosman den europäischen Sport-Basar eröffnen ließ. 45 neue Ausländer hatte die deutsche Eliteklasse bereits vor dieser Saison akquiriert, nun zeigt zuvorderst der ostwestfälische Provinzverein Nettelstedt, daß weitere taugliche ausländische Spielkräfte vor deutschen Grenzen harren. Neben Duschebajew besorgten sich die Mindener vom norwegischen Drammen HK noch den Rechtsaußen Geir Oustrop.

Immer seltener vermag selbst die bislang unter Handballern begehrte spanische Peseta dem D- Mark-Druck standzuhalten. Iberischen Eitelkeiten setzt es fiese Verletzungen. Barcelonas verwöhnter Erfolgscoach Valero Rivera López mag seinen Mißmut kaum verbergen. „Bei uns“, sagt er, „geht der Handball-Boom seit Jahren zurück, und in Deutschland werfen die Klubs so mit Geld um sich, daß wir schon lange nicht mehr mithalten können.“ 1995 verlor López den Mittelmann Bogdan Wenta an Nettelstedt, nun folgte die Auktion um Santanders Duschebajew. Seinen Landsleuten aus Granollers kam derweil ihr Bester, der baumlange Rückraumstratege Wjatscheslaw Atawin, abhanden, den dessen Berater Wolfgang Gütschow zur kommenden Saison ebenso beim SC Magdeburg unterbrachte wie den Bretonen Gueric Kervadec vom derzeitigen französischen Tabellenführer US Créteil.

Auch Duschebajew – der sich in Nettelstedt 400.000 Mark netto pro Jahr einstecken dürfen soll – hätten die Magdeburger gerne gehabt, um ihre schöne, große neue Börde- Halle zu füllen. Geld scheint reichlich vorhanden in Sachsen-Anhalt, wo Stefan Kretzschmar auf 250.000 Mark netto jährlich taxiert wird.

Die gestiegene Popularität deutscher Klubs in der Welt der Werfer läßt sich neben dem hohen Liga-Niveau auf schnöde pekuniäre Reize zurückführen. „In Spanien“, referiert der Spielervermittler Gütschow, „laufen die Gehaltszahlungen ganz übel: Da sind 20 bis 25 Prozent des Jahresgehaltes gleich abzuziehen, weil die Klubs die letzten zwei, drei Monatsgehälter eh nicht mehr zahlen, wenn sie wissen, daß ein Spieler wechselt. Und die Prozeßkosten sind in dem Rechtssystem höher als die ausstehende Summe.“ Vor zwei Jahren mußte Gütschow konspirativ Dimitri Karlow von Juventud Alcala nach Bad Schwartau transferieren, als der mit seiner hochschwangeren Frau, einem Kind und abgelaufenem Visum in Spanien festsaß, völlig blank, weil der Verein fünf Monate lang keine Bezüge überwiesen hatte. Wenig später ging der Klub in Konkurs.

Wie einen Virus importieren deutsche Handball-Macher mit Summen und Superstars nun allerdings klammheimlich das Geschäftsgebaren: Die Vermarktungsmöglichkeiten seiner Sportart, weiß der Neu-Bundestrainer Heiner Brand, „sind nicht so groß, daß Investitionen, wie sie in dieser Saison getätigt wurden, eingespielt werden“. In Gummersbach mußten gerade zwei Banken in höchster Not Weihnachtsmann spielen, damit der mit über zwei Millionen Mark verschuldete erfolgreichste Handballklub der Welt den Heiligabend erleben durfte. „Viele Vereine“, vermutet Lemgos verletzter Kreisläufer Achim Schürmann, „gehen ein erhebliches Risiko ein, wenn sie so aufrüsten, das nur im Erfolgsfall aufgeht.“

Indem die Manager mit ihrer Zockermentalität das Gehaltsgefüge mächtig durcheinanderwirbeln, gefährden sie den ordnungsgemäßen Spielbetriebsablauf bis in den Klassenunterbau. Beim Hauptstadtverein Blau-Weiß Spandau in der 2. Liga Nord schimpft der Abteilungsleiter Jürgen Kessling, er mache „den Irrsinn mit den Preisen nicht mehr mit, selbst wenn wir dadurch mal absteigen müssen“. Mit einer Aufwandpauschale von 599 Mark bezahlt er seine Akteure, und Luxus ist, wenn das Team wie zuletzt zur Partie in Bielefeld mit der Bundesbahn fährt, statt mit privaten PKWs. Derweil schickte der Gegner, die TSG Bielefeld, den Torwart als Rechtsaußen auf die Platte – die kargen Finanzen berauben das Personal anderer Alternativen.

Im Oberhaus registriert man unterdessen, daß Erfolg kaum käuflich ist. Während früher noch die großen Stars eine gewisse Anzahl Siege gegen die ärmeren, weniger üppig ausgestatteten Teams vorhersehbar machten, liegt die Planbarkeit heute bei Null. „Es gibt keine leichten Gegner mehr“, verkündet Volker Zerbe vom Bundesliga-Tabellenführer TBV Lemgo, „wir haben nur noch Endspiele.“ Seine Truppe rangiert vor allem deswegen soweit oben, weil das Gros über Jahre eingespielt ist, kleine Europa-Auswahlen wie Wallau-Massenheim und Dankersen sich aber mühselig finden müssen. „Die besten Einzelspieler“, glaubt Schürmann, „haben wir nicht.“

Zuweilen unterliegt das Mannschaftsspiel zudem ähnlichen Hemmnissen wie einst der Turmbau zu Babel. In Dankersen muß der polnische Trainer Zenon Lakomy jedesmal eine Anfangsformation mit sechs Ausländern aus fünf Nationen instruieren. Die sprachlichen Integrationsprozesse verlaufen unterschiedlich zügig: Parlierte Nettelstedts Pole Wenta nach drei Monaten in Ostwestfalen bereits akzentfrei Deutsch und Dankersens Franzose Stoecklin zumindest passabel, so muß sich Lemgos weißrussischer Trainer Schewtsow noch immer des Schweizers Baumgartner bedienen, will er mit seinem französischen Außen Julia kommunizieren. Nettelstedts ungarischer Coach Lajos Mocsai jedenfalls sorgte dafür, daß man seinem Spanisch wie Russisch sprechenden Neuzugang Duschebajew neben den Rummeldevotionalien einige Cassetten mit auf die Heimreise gab: Sprachkurse Deutsch für Russen.