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Die EU-weite Förderung der ökologischen Landwirtschaft brachte Vorteile für alle Beteiligten  ■ Von Andreas Krug

Bauer, das ist heute wieder ein Beruf mit Zukunft. Und das, obwohl die Situation der Landwirte vor zehn Jahren europaweit verdammt trostlos ausgesehen hatte. Kaum ein Monat war ohne negative Schlagzeilen vergangen. Rinderwahnsinn, beim Transport verendende Schlachttiere, weitverbreiteter Medikamentenmißbrauch in der Tierzucht – all das hatte die Verbraucher zutiefst beunruhigt. Sie trauten dem Braten nicht mehr. Die Bauern blieben auf ihren Produkten sitzen, und die EU mußte aus ihren Hilfskassen immer mehr beisteuern. Die Kosten der EU- Landwirtschaftspolitik explodierten.

Die jungen Leute auf dem Land mochten die Höfe ihrer Eltern nicht mehr übernehmen. In Deutschland standen 500.000 landwirtschaftlichen Betrieben nur 6.000 gesicherte Hofnachfolger gegenüber. Der „Strukturwandel“ – so hieß das Höfesterben im Bürokratenjargon – drohte, bis zur Jahrtausendwende die ländlichen Lebensstrukturen zusammenbrechen zu lassen. Damals machte in Europa alle zwei Minuten ein Bauernhof zu.

In dieser Situation zog die EU- Kommission die Notbremse. Die Osterweiterung nach Polen und Ungarn vor Augen, die bei einer Politik des „Weiter so“ noch einmal immense Kosten verursacht hätte, machte eine neue Strategie überlebensnotwendig. Entgegen den Erwartungen vieler Agrarpolitiker der damaligen christlich-liberalen Bundesregierung entschied sich die EU-Kommission für eine Umstellung auf direkte Beihilfen für die Landwirte und eine schrittweise Ökologisierung der Landwirtschaft. Die Preissubventionen wurden radikal durchforstet.

Die meisten Betriebe konnten gerettet werden. Die Umwidmung der EU-Milliarden, die in den 90ern noch die Kassen von Lagerhaltern oder Transporteuren füllten, machte es möglich. Nach anfänglicher Zurückhaltung stieg auch die Bundesregierung in das Programm ein und stellte zehn Prozent der Gelder aus der sogenannten Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz für die Umstellung der Tierhaltung in Deutschland zur Verfügung. Auf Hilfen konnten nur noch Bauern hoffen, die ihre Tiere artgerecht hielten. Ähnlich wurde in anderen EU-Staaten verfahren.

Durch die Streichung unsinniger Subventionen konnte der EU- Haushalt innerhalb zweier Jahre spürbar entlastet werden. Die Kommission ging nach den positiven Erfahrungen des ersten Programms von 1997 im Jahre 2000 dann noch einen Schritt weiter: Gekoppelt an ein Umweltsicherungsprogramm machte sie den Bauern Auflagen, die eine umweltverträgliche Landwirtschaft garantierten sollten und gleichzeitig einen ersten Schritt auf dem Weg zum ökologischen Landbau darstellten.

Die Flächenstillegung, die zu großen Brachen in Ostdeutschland und einem um so intensiveren Einsatz von Kunstdünger und Chemie auf den übrigen Flächen geführt hatte, wurde abgeschafft. Statt dessen führten die Brüsseler Agrarplaner eine Stickstoffsteuer ein. Der Einsatz von Stickstoffdünger wurde nach dänischem Vorbild durch die Abgabe jedes Jahr spürbar teurer, Mist und Gülle der eigenen Tiere wurden auf den Stickstoffeinsatz angerechnet. Die Einnahmen aus der Steuer wurden zunächst zurückgezahlt. Doch schon bald ließen die ohne Kunstdünger sinkenden Getreideerträge die Preise ansteigen und sicherten den Landwirten auch ohne Unterstützung ein ausreichendes Einkommen. Bauern, die sich für ökologischen Landbau interessierten, wurden Hilfen für die schwierige Umstellungsphase gezahlt. Ein Informations- und Vermarktungsprogramm stimulierte die Verbrauchernachfrage nach Ökolebensmitteln. Die Hilfen konnten locker aus dem EU-Haushalt bezahlt werden, weil allein durch die Streichung der Exportsubventionen Milliarden gespart werden konnten. 1995 hatte die EU noch 15 Milliarden Mark für solchen Unsinn ausgegeben.

Die beiden Programme gaben den Bauern wieder eine Perspektive für die Zukunft: eine Bezahlung der landwirtschaftlichen Einkommen hauptsächlich über die Erzeugerpreise. Die Streichung der Exportsubventionen hatte eine zusätzliche positive Wirkung: Im Rahmen der Handelsvereinbarungen auf den WTO-Gipfeln erhielt die EU von den anderen Agrarexportländern wie den USA die Möglichkeit, ein eigenständiges europäisches Preisniveau einzuführen, verbunden mit einem wirksamen Außenschutz und der Einschränkung von Futtermittelimporten.

Entgegen den lautstark geäußerten Befürchtungen konservativer Agrarpolitiker war dies nicht mit einer Abschottung der EU vom Weltmarkt verbunden. Außerdem gab diese Maßnahme den Ländern der Dritten Welt erst die Möglichkeit des Aufbaus einer „unabhängigen“ Agrarproduktion.

Plötzlich lohnte es sich auch in Afrika wieder, eigene Lebensmittel für die Versorgung der Bevölkerung anzubauen. Die Produkte mußten nicht mehr auf einem überschwemmten Weltmarkt konkurrieren. Ein erster Schritt zur Selbstversorgung und zur Bekämpfung des Hungers in den ärmsten Ländern war damit getan.

Da die Rohstoffpreise in Mitteleuropa bei den meisten Lebensmitteln nur einen geringen Teil der Gesamtkosten ausmachten, stiegen die Verbraucherpreise in der EU nur mäßig an. 1996 mußte der Durchschnittsdeutsche nur 15 Prozent seines Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben, da war ihm diese Steigerung zuzumuten. Im Gegenzug wurden die EU-Kassen und damit auch der Steuerzahler von wahnwitzigen Subventionszahlungen entlastet. Allein für die Subventionierung des Getreidemarktes rechnete der damalige EU-Kommissar Franz Fischler mit 24 Milliarden Mark.

Die Verbraucher maulten nicht etwa, sie zeigten sich begeistert von der neuen Agrarpolitik. Das Image der Landwirtschaft verbesserte sich, das Vertrauen in die Produkte wuchs. Einen weiteren Schub erhielt die Umstellung durch die Unterstützung des deutschen Bauernverbandes für den ökologischen Landbau. Nach langwierigen Verhandlungen und unter dem Druck des Verlustes mehrerer 100.000 Mitglieder verabschiedete die neue Führung des DBV unter dem Präsidenten Sonnleitner im Jahre 2000 endlich ein neues Grundsatzprogramm, das den ökologischen Landbau als möglichen Weg aus der Agrarkrise anerkannte.

Auch die konventionelle Landwirtschaft wurde nicht ausgegrenzt. Es gelang, die Mehrzahl der Höfe zu retten und für einen behutsamen Übergang zu werben. Die regionale Vielfalt der Kulturlandschaft und der Landwirtschaft konnten erhalten werden.

Im Jahre 2006 gibt es in Deutschland 400.000 landwirtschaftliche Betriebe, bereits 20 Prozent arbeiten nach den Richtlinien des ökologischen Landbaus, weitere 20 Prozent befinden sich in der Umstellungsphase. Die Preise sind geringfügig gestiegen. Die Hälfte der Nahrungsmittel wird regional vermarktet (ein Erfolg des Vermarktungsprogramms der EU), konventionelle und ökologisch wirtschaftende Bauern sind daran gleichberechtigt beteiligt. Die Tierhaltung ist EU-weit komplett auf artgerechte Formen umgestellt, die Verbraucher essen nur noch zirka 40 Kilogramm Fleisch pro Jahr (vor zehn Jahren waren es noch über 60 Kilogramm).

Sämtliche Wasserschutzgebiete wurden auf ökologischen Landbau umgestellt, die Tierbestände sinken, also auch die Güllebelastung des Bodens. Das hat zur Folge, daß auch die Nitratbelastung des Grundwassers immer mehr abnimmt. Der Trend zur Fernwasserversorgung und zu hohen Wasserpreisen konnte gestoppt werden.

Die Lehr- und Ausbildungsstätten und die argarwissenschaftlichen Fakultäten verzeichnen überproportionale Zuwächse. Kurzum, Landwirtschaft hat endlich wieder Zukunft.

Andreas Krug ist der Landwirtschaftsexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)

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