: Ein blutreiches, aber leichenloses Samstagsmassaker
■ Hilflose Polzisten, heimliche Lesben und ungewohnte Hitze in Anne Holts Krimi Selig sind die Dürstenden
Die Lektüre des neuen Krimis der norwegischen Rechtsanwältin Anne Holt verheißt blutige Spannung: „Überall war Blut. Auf dem Boden. An den Wänden. Selbst die grobe Decke zeigte dunkle Flecken wie abstrakte Bilder aus irgendeinem Psychotest.“
Selig sind die Dürstenden protokolliert einen Monat lang die polizeiliche Ermittlungsarbeit in Norwegens Hauptstadt Oslo. Tag für Tag müht sich die Kripo in der ungewohnt schwülheißen Stadt, der überhandnehmenden Kriminalität Herr zu werden. Und Tag für Tag protokolliert dieser Kriminalroman die Spuren- und Tätersuche ebenso wie die zahlreichen Irrwege und die sich allmählich breitmachende Mattigkeit der Polizeikräfte.
„Der Fall liegt jetzt bei uns. Wenn es einer ist. Kein Opfer, niemand hat was gehört, niemand hat was gesehen.“ Ist Kommissarin Hanne Wilhelmsen also überhaupt zuständig? Denn es gibt ja keine Leichen, die Polizisten finden immer nur Unmengen von Blut. Als sich diese blutigen Spuren geheimnisvoller Verbrechen an den darauffolgenden Samstagen wiederholen, steigert sich die Verwirrung der versierten Wilhelmsen. Sie hat das Gefühl, in einer Sackgasse zu stecken. Hinzu kommt das strapaziöse Doppelleben der erfolgsgewohnten attraktiven Kommissarin mit der pinkfarbenen Harley Davidson – Wilhelmsen verbirgt ihr Lesbischsein vor den Kollegen.
Es macht den Reiz dieses intelligenten Krimis aus, daß Hanne Wilhelmsen die rätselhaften „Samstagsmassaker“ nicht allein zu lösen vermag. Die scheinbare Handlungsunfähigkeit der Polizei, mörderische Fremdenfeindlichkeit, die Verzweiflung einer Vergewaltigten, unbeirrbare Selbstjustiz.
Aus diesen vielen, vielleicht etwas zu vielen Spannungselementen hat Anne Holt ihr zweites Buch Selig sind die Dürstenden komponiert. Die Autorin kennt den zermürbenden Polizeialltag aus eigener Erfahrung genau und scheut sich nicht, die Unzulänglichkeiten und Grenzen der polizeilichen Arbeit in ihrer manchmal tödlichen Konsequenz zu zeigen: „Wenn die Bevölkerung der Stadt auch nur eine Ahnung davon gehabt hätte, wie hilflos die Polizei derzeit in der Welle von Verbrechen gegen das Untergehen kämpfte...“
Frauke Hamann
Anne Holt: Selig sind die Dürstenden, aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs, Rasch und Röhring Verlag, Hamburg, 1996, 219 Seiten, DM 34.-
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