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Scherf hat die Finanzprobleme unverantwortlich bagatellisiert

■ Interview mit Prof. Rudolf Hickel, Ökonom an der Bremer Universität, über Bürgermeister Henning Scherfs Optimismus und die Chancen einer Sanierung der Bremer Finanzlage / „Das Sanierungskonzept, wie es bisher geplant war, ist nicht mehr haltbar“

taz: Der Bürgermeister hat Mitte Dezember in Bonn nach Gesprächen mit dem Kanzler und den Ministerpräsidenten erzählt, die Situation sei günstig für die Bremer Verhandlungen um eine Fortsetzung der Sanierung: Das zeitliche Zusammentreffen mit dem Schritt in die Währungsunion sei ein Glücksfall für Bremen, hat Scherf erklärt.

Rudolf Hickel: Es ist mir absolut unverständlich, wie man sowas sagen kann. Wenn man seriös nachrechnet, weiß man: Von der Währungsunion hat das Land Bremen überhaupt nichts. Ein Beispiel: Die Bremer Weinimporteure, die jetzt schon wieder den Beaujolais für das nächste Jahr ordern, haben überhaupt keine Wechselkursprobleme. Der Kurs zwischen Franc und Mark ist stabil.

Scherf meinte die staatlichen Stabilitätserfordernisse für den Euro.

Auch da ist die Wahrheit eine ganz andere: Wenn die Bundesregierung und die Bundesbank wild und fest entschlossen sind, das Maastricht-Eingangskriterium für die Währungsunion einzuhalten, also die Neuverschuldung auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu beschränken, dann gibt es einen Stabilitätspakt nach innen. Alle Länder kommen in ganz große Probleme.

Wieviel Neu-Verschuldung jährlich könnte sich Bremen leisten, wenn es sich nur um drei Prozent des Bremer Bruttoinlandsproduktes neu verschulden dürfte?

Drei Prozent auf 35 Milliarden wären eine Milliarde, simpel gerechnet. Derzeit gibt Bremen jährlich knapp 1,8 Milliarden mehr aus als das Land in der Kasse hat. Aber vor allem müssen auch die anderen Länder, vor allem auch Niedersachsen, ihre Neuverschul-dung deutlich reduzieren. Nordrhein-Westfalen hat jetzt schon nach Bayern und Baden-Württemberg den Länderfinanz-ausgleich infrage gestellt. Dieses Disziplinierungsinstrument ist eine Katastrophe für das Land.

Finanzsenator Nölle hat jetzt erklärt, die Regelung, nach der die Steuern am Wohnsitz bezahlt werden, sollte für die Stadtstaaten aufgehoben werden.

Viel Vergnügen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu schon gesagt, daß das frei unter den Ländern zu regeln ist. Was nichts anderes bedeutet als: Das würde auch die Niedersachsen in die Koalition gegen Bremen bringen. Und es hilft am Ende wenig, weil wir den Länderfinanzausgleich nur durch originäre Steuereinnahmen ersetzen würden auf Kosten Niedersachsens. Das läßt die Lage schöner aussehen, es bringt aber kaum eine Mark mehr in die Bremer Kasse und entlastet die Geber-Länder im Süden praktisch nicht.

Was tun?

Das Sanierungskonzept, wie es bisher geplant war, ist nicht mehr haltbar. Irgendwann muß man den Leuten reinen Wein einschenken. Das war von Anfang an eine komische Konstruktion. Bremen soll sein Ausgabenwachstum bremsen...

Das ist erfolgreich geschehen, die laufenden konsumtiven Ausgaben wachsen derzeit praktisch nicht mehr.

Ja. Dann soll als zweites die Wirtschaftskraft gestärkt werden durch das Investitions-Sonderprogramm. Dieses ISP sollte finanziert werden aus dem Geld, das ausgegeben werden müßte, wenn keine Entschuldung von 1,8 Milliarden gewesen wäre: Die hypothetischen Zinsersparnisse dürfen wir ausgeben.

Das ist virtuelles Geld.

Ja, dieses Geld ist nicht in der Kasse. Wenn wir es ausgeben wollen, muß es irgendwoher kommen – das heißt: neue Staatsverschuldung.

Immerhin steigt die Staatsverschuldung in absoluten Zahlen derzeit absolut nicht...

... weil das Haushaltsdefizit einigermaßen im Rahmen der Bonner 1,8 Milliarden gehalten werden kann. Das bedeutet doch schlicht: Wir würden auf Dauer diese Sanierungsmilliarden brauchen, jedes Jahr. Da das illusorisch ist, müssen wir den Mut haben zu sagen: Wir kommen mit dem Sanierungs- und Investitionsprogramm nicht weiter.

Scherf sagt, es bestehe gute Hoffnung, im Windschatten der Stabilisierungsbemühungen im Vorfeld des Euro für Bremen weitere Sanierungshilfe zu erzwingen.

Bremen braucht dringend einen Nachschlag. Das ist das Eingeständnis der Tatsache, daß die 10 Milliarden, die wir 1993 zugesprochen bekommen haben, überhaupt nicht ausreichen. Die Bedingungen sind aber bedeutend schlechter als damals, 1993, wo die Hilfe für Bremen und das Saarland im Windschatten der Ost-Hilfe gewährt wurde. Wenn man sich die Geberländer anschaut, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg, Bayern, die haben auch riesige Steuerausfälle und müssen auch anteilig ihre Neuverschuldungsquote senken.

Das Finanzressort spielt mit einer Vision, daß Bremen in den nächsten 10 Jahren 55.000 neue Arbeitsplätze und 40.000 zusätzliche Einwohner gewinnen müsse.

Das halte ich für völlig irre. Es soll in Bremen maßgebliche Politiker geben, die resigniert haben und sagen: Wenn sowieso alles vergebens ist, dann laßt uns die letzte Phase des Stadtstaates nutzen, um schön oberzentrale Funktionen aufzubauen.

Im Klartext: Wenn die „Sanierung“ beendet ist und ihr Scheitern festgestellt werden muß, dann sind überall in Bremen Baugruben, Firmen haben gültige Verträge für gigantische Projekte, mindestens zwei der vier Milliarden des Sonder-Subventionspro-gramms sind verbindlich verplant ...

... und wenn wir dann als Landeshauptstadt verschwinden, dann haben wir wenigstens wichtige oberzentrale Einrichtungen.

Keine gute Idee?

So geht es nicht. Bürgermeister Scherf hat die Probleme finanzpolitisch unverantwortlich bagatellisiert. Das Land kann nicht immer nur wiederholen: Der Stadtstaat ist ein Wunschkind der Verfassung. Das hilft auf Dauer nicht, wenn dem keine finanzpolitische Wirklichkeit entspricht. Wir müssen die Frage zuspitzen: Steht die Republik zu diesem Stadtstaat oder nicht? Warum sollte sie eigentlich dazu stehen? Wenn die anderen Länder die Selbständigkeit Bremens erhalten sollen, dann kostet sie das mehr, und wir müssen ihnen begründen können, warum sie das zahlen sollen. Wir müssen den Standort attraktiver machen. Warum soll der Automobilarbeiter in Untertürkheim über ein kompliziertes Umverteilungs-verfahren aus seinem Steueraufkommen das Land Bremen mitfinanzieren? Diese Frage muß ich ihm doch beantworten können. Wir laufen derzeit Gefahr, daß die Bremer selbst immer weniger davon überzeugt sind, daß sie auf diese Frage eine Antwort geben können.

Interview: K.W.

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