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Zwischen den RillenDas braucht Lautstärke

■ Darkcore oder Hardstep: Eine Drum-'n'-Bass-Variante, die nicht Sofa-kompatibel ist

Das ging flugs. Hat fast jedeR vor Jahresfrist bei Drum 'n' Bass noch an die nächste Selbstgedrehte gedacht, passen die flirrenden Beats inzwischen auch in die gängige Hörgewohnheit öffentlich-rechtlicher Sportfreunde. Wie kein anderes Genre stand Drum 'n' Bass 1996 im Rampenlicht. In Ruhe konnte man so verfolgen, wie sich die Dinge entwickeln.

Vom notorisch gewordenen Sportschau-Jingle, den Chartserfolgen von Alex Reece, der Neuerfindung von Everything But The Girl, Majorverträgen mit besten Konditionen für Produzenten wie Photek und diversen Hypes um hippe Clubs mal abgesehen – es ist inzwischen so, daß kaum ein Produzent, der das Wort Sampler buchstabieren kann, eine Platte herausbringt, auf der nicht ein rollender Beat zu hören ist. Das alles hat natürlich zu Identifikationsproblemen geführt und insbesondere zu der Frage: Gibt es eigentlich noch richtigen Drum 'n' Bass?

Man möchte nicht gleich große Worte wie Underground benutzen, aber im Schlagschatten der beschriebenen Entwicklung und der medialen Resonanz hat sich eine Variante gehalten, die man als die Ursuppe bezeichnen könnte.

Erstens aus dem Grund, weil sie noch die größten Anteile von Jungle enthält, jenes D-'n'-B-Vorläufers, der Anfang der 90er von schwarzen Londoner Produzenten aus Ragga und beschleunigten HipHop-Beats gemixt wurde: Bässe, die tiefer sind als Jacques Cousteau sich die Weltmeere vorgestellt hat, und das Toasting eines MCs, also das freie Improvisieren eines Vokalisten zu den Beats des DJs.

Der zweite Grund ist die Vermarktung der Musik hauptsächlich über 12“-Vinylplatten, was den Einstieg für Außenstehende immer erschwert und die Hintergrundinformationen über Produzenten und Stile auf einen Insiderkreis beschränkt. Der dritte Grund ist die Verwirklichung der Musik im Club oder beim Rave (D-'n'-B-Raves müssen im Unterschied zu Techno keine Riesenveranstaltungen sein, der Begriff wird hier auch für kleiner dimensionierte Parties verwendet).

Traditionsbewußtsein, elitäres Wissen, soziales Erlebnis – auf diesen Stützen steht eine Szene, die den noch nicht vom Mainstream und Medienhype eingeholten D 'n' B promoted. In der Tat ist die dort favorisierte Musik von einer Art, die sich kaum dazu eignet, Cocktailbars zu beschallen. Und das liegt vor allem am Bass. Der ist zu Frequenzen abgesunken, die eine normale Zimmertür schon bei niedriger Lautstärke im Rahmen zappeln läßt. Und oft ist er tonal noch so moduliert, daß er wie eine fies-verzerrte Sirene klingt. Das braucht Lautstärke. Nicht unberechtigt ist deshalb die Frage der Herausgeber des Fanzines Pressure, die sich als Sachwalter dieses Sounds verstehen: „Wie soll jemand auch bei Zimmerlautstärke und auf dem Sofa sitzend imstande sein nachzuvollziehen, welche Verheerungen, sagen wir, die Unterwasser-Bassline von Andy C.'s ,Quest‘, auf einem vollen Rave anrichten kann?

Die damit gemeinte Musik kommt hauptsächlich von britischen Labels. Die angesehensten Produzenten sind DJ Hype, Dillinja, Andy C., Nico, DJ Trace, Ed Rush. Eine Aktivistenszene in Berlin und um Mannheim herum bemüht sich lebhaft, diese Leute zu hiesigen Raves einzuladen, und unterstützt entsprechende Eigengewächse. So hat sich – auch noch relativ unbeachtet – eine deutsche Produzenten- und DJ-Szene entwickelt.

Die D-'n'-B-Variante, von der wir hier sprechen, wird auch Darkcore oder Hardstep genannt. Das Dunkle kommt nicht nur vom charakteristischen Bass, sondern auch aus den meist spärlichen Accessoires: metallisch klingende Schläge, verzerrte Vocals, Dialogfetzen aus SciFi-Filmen. Den Beats ist schwer zu folgen. Selten sind sie sauber produziert und sie verströmen auch nicht die „Intelligenz“, die man Produzenten wie Aphex Twin, Plug und Squarepusher unterstellt, die manchmal witzig, manchmal aufgeklärt-clever die Produktionstechniken von D 'n' B in ihre musikalischen Universen überführen, ohne auf Szenen- oder Clubkompatibilität zu achten.

Ist der Beat einmal am Rollen, hat man bei Darkcore/Hardstep nie das Gefühl, daß er irgendwohin rollt. Er gräbt sich eher immer tiefer auf der Stelle ein. Das generell für D 'n' B charakteristische Paradox von ultraschnellen Beats und moränenlangsamem Bass hat sich dabei zu einer sich nicht angenehm anfühlenden Atmosphäre verdichtet. Indem dieser Sound innerhalb einer bestimmten, mit noch eigener Attitüde ausgestatteten Szene radikalisiert wird, bekommt diese „Spannung ohne Befreiung“, wie Simon Reynolds das nennt, eine soziale Relevanz. Von hier aus kann man diese Art von D 'n' B als musikalischen Ausdruck von Jugendlichen betrachten, die sicher sein können, daß es ihnen, was die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen angeht, nicht besser gehen wird als ihren Eltern.

Das Meistern dieses Gefühls durch die Meisterschaft im Spaßhaben, wie es die unmittelbaren Vorgänger der Techno/Housebewegung noch zelebrierten, zerfällt jetzt in das angestrengte Agieren zu auseinandergebrochenen und falsch zusammengesetzten Fragmenten musikalischen Materials. Wer die für den Utopiegehalt von Pop nicht unwichtige Parole „Peace, Love & Unity“ in der Interpretation von DJ Hype und MC Fats hört, weiß, wie Desillusionierung klingt. Frohes neues Jahr! Martin Pesch

Aktuelle Empfehlungen:

DJ Hype: „Peace, Love & Unity“ (True Playaz); Fierce/Nico: „Input“ (No U-Turn); Cybotron: „Threshold“ (Prototype); Dom & Roland: „Mechanics“ (31 Recordings); Roni Size: „Brut Force“ (Full Cycle); Panacea: „1“, „2“ (Chrome).

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