piwik no script img

Asozial im Kühlhaus

■ Das Theater Transit zeigt die Uraufführung von Daniel Haws „Gift“

Das Theater Theatron ist ein wunderschönes kleines Theater. 99 Zuschauer finden in dem umgebauten Kino zwischen weißgetünchten Wänden auf samtroten Sitzen Platz, eine Bar ist im Saal und ein Restaurant nebenan. Doch auch ein freundliches Kühlhaus bleibt ein Kühlhaus. Im Sommer mag das manchen Vorteil haben, im Winter ist es eine Zumutung.

Die Aufführung des Theaters Transit kann leider die arktischen Begleitumstände nicht vergessen machen. Angekündigt war die Uraufführung eines Stücks über ein abgewirtschaftetes Hotel in St. Georg und seine unkonventionelle Klientel. Doch wer Lokalkolorit erwartete, wurde enttäuscht: Bezüge auf vertraute Orte oder bekannte Persönlichkeiten kommen weder in Daniel Haws Text noch seiner Inszenierung vor. Abgesehen davon, daß die Concièrge aufs schönste hamburgert - „Weißt du, Herr Bürger, du kannst von mir alles verlangen, aber anfassen tu ich sonn Junkie nich“ - ist Gift nicht anzumerken, daß es in Hamburg spielt.

Vermutlich wollte Haw die Allgemeingültigkeit der Konflikte auf dem Kiez betonen, doch wenn ein Hamburger Autor für eine Hamburger Freie Gruppe ein Stück über Hamburg schreibt, ist es schade, wenn die Stadt in der Inszenierung nicht vorkommt.

Erzählt wird in vielen kurzen Szenen von drei unterschiedlichen Frauen, die nichts teilen außer demselben Wohn-, bzw. Arbeitsplatz: eine drittklassige Absteige auf dem Kiez. Da ist Claudia (Katharina Jakob), eine Tochter aus gutem Hause, die mit ihrem musizierenden Junkie-Freund ein Zimmer teilt; Magda (Idelette Rochat), die gutherzige „Russenmatratze“, die in Deutschland auf den Strich geht, um ihrer Familie in Sibirien ein Häuschen zu kaufen; und da ist vor allem Frau Bender.

Berit Juppenlatz spielt die ordinäre und korrupte Rezeptionistin mit überzeugender Kotterschnäuzigkeit. Ihrem Chef leckt sie die Füße, und die Mädchen läßt sie büßen für all das, was das Leben ihr nicht gab und nicht mehr geben wird. Entsprechend resolut ist ihr Rezept für das „Junkie-, Asylanten- und Pollacken-Pack“, das vom „So-zi-al-amt“ lebt: „Arbeitslager. Was meinst du, wie schnell die von der Nadel weg sind.“

An allzu schlichten Konzepten krankt leider auch Gift. Die Concièrge ist die Böse, das Töchterlein die Arrogante und die Russin die Gute. Und weil das Leben auf dem Kiez hart ist, muß letztere sterben. Das „kalte Gift“ der „schmutzigen Seelen“ des Kapitalismus rafft sie hinfort.

Mit Rückblenden auf Familienszenen versucht Haw, die Figuren zu erklären, doch erweitert er die Stereotypen so vor allem um Sentimentalität. Obwohl konzentriert gespielt wird und die Dialoge streckenweise überzeugend sind, wird kein echter Konflikt entwickelt. Der dramaturgische Bogen fehlt, so daß das Ende des Stücks durch die Lichtregie vermittelt werden muß: dunkel wird's.

Christiane Kühl

Theater Theatron, Glashüttenstr. 115, 20 Uhr, bis 12. Januar

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen