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Das Vexierspiel der Voyeure

■ Bali gehört den Touristen, und die werden selbst zur Attraktion: So sind viele Javanesen allzeit auf der Pirsch nach Europäern. Fotosession im Paradies

Manche Leute schwören auf Bali. Ich gehöre nicht dazu. Zugegeben, an der Nordküste soll es noch ein paar echte Fischerdörfer geben, auch die Reisfeldterrassen und einige der Tempel sind nicht ohne. Zumindest auf Fotos. Ohne Hitze und Gestank. Ubud ist fast kühl, die vulkanische Gebirgslandschaft drum herum fruchtbar und grün. Vor nicht allzu langer Zeit muß die Insel einem Paradies tatsächlich ziemlich nahe gekommen sein. Doch das ist Geschichte.

Heute gehört Bali den Touristen. Wer sie in Mallorca nicht hassen gelernt hat, holt das hier nach. Kuta Beach macht El Arenals Gruseligkeit zur pastoralen Idylle. Surfwütige australische Teenager, amerikanische Althippies und schmerbäuchige Europäer wetteifern um einen neokolonialen Platz an der Sonne. Dazwischen wuseln Einheimische, die ihre Insel prostituieren, um mehr schlecht als recht vom Fremdenverkehr zu leben. Notgedrungen. Über die letzten fünfzig Jahre hat sich die balinesische Bevölkerung verdreifacht. In der Postkartenidylle satt zu werden ist kein Kinderspiel. Nirgendwo liegt Boden brach. Jeder nutzbare Fleck ist bebaut, jeder Quadratmeter kultiviert. Sogar auf dem Land ist das Gedränge spürbar. Es wimmelt von jungen Menschen. Nur die Privilegierten haben eigene Geschäfte oder bedienen in den Freizeitghettos Europäer und Japaner. Die anderen müssen anders überleben. Als Schlepper, Strandmasseure oder Straßenhändler. Sie belagern Beach, Hotels, Cafés und Tempel, lauern in stark befahrenen Gassen, wo die Bordsteige selten breiter als fünfzig Zentimeter sind, versperren den Weg und klappen unverhofft ihren Bauchladen auf. Wer den Fehler macht auszuweichen, findet sich auf einem Autokühler oder in den Speichen eines der zahllosen Mopeds wieder. Oder er tritt auf einen der vielen, streunenden Vierbeiner. Bali bietet außer Myriaden hungriger Katzen die mit Abstand häßlichsten Köter Asiens.

Doch es gibt eines, das die Trauminsel von anderen Freizeitmetropolen der Welt unterscheidet und vielleicht nicht unwesentlich zu ihrer Beliebtheit bei weißen Pauschaltouristen beiträgt. Denn es schmeichelt vielen. Es ist ein Phänomen, das Bali den Javanesen verdankt. Die machen hier Kurzurlaub, um möglichst viele europäische Touristen zu erlegen. Mit ihren Kameras, auf Fotosafari. Sie pirschen systematisch die Badestrände ab. Oder warten vor Tempeln. Einige fragen, andere nicht. Aber alle knipsen, was das Zeug hält. Rosagebrannte Ärsche, schlechtsitzende Bikinis, ölverschmierte Rücken, biertrinkende Kurzbehoste, badende Kleinkinder. Egal was, solange es nur weiße, krebsrote oder hellbraune Haut hat und rundäugig ist.

Denn die, die normalerweise die Fremde und Fremden als Hintergrund für ihr Konica- und Canongeklicke nutzen, mutieren hier zum Objekt fotografierwütiger Aufmerksamkeit, sind Zootiere, bestaunte, tausendfach abgelichtete Exoten. Groteske Popidole, deren devisenbewehrtes Glitzerflair Scharen tragikomischer Wohlstandsfans in Bann schlägt.

Am Strand von Kuta Beach finden sich innerhalb einer Stunde ein knappes Dutzend javanesischer Schulmädchen auf unserem Badetuch ein. Und auf dem unserer holländischen und australischen Nachbarn. Sie erscheinen zu zweit oder zu dritt, stets mit fast schüchternem, aber sehr zielbewußtem Lächeln, gruppieren sich vor, hinter oder neben uns, wechseln Kameras und Positionen, unermüdlich den Finger am Auslöser. Manche notieren sich sogar unsere Namen, wollen Herkunft und Religion wissen. Die drei Standardauskünfte, die jede Hellhaut dreißig- bis vierzigmal am Tag zu geben hat. Neben der Antwort auf die Frage, wie einem Indonesien gefällt. Die fünf Jungs aus Surabaya, spätpubertierende Achtzehnjährige mit verspiegelter Sonnenbrille und obligatorischer „Gudang Garam“ im Mundwinkel, die uns in Tanah Lot abfangen, brauchen zwanzig Minuten, bis jeder von ihnen mindestens zwei Gruppenbilder gemacht hat. Als allerdings auch wir unsere Kamera zücken, um den Vorgang zu dokumentieren, wirken sie eher verwundert.

Das Vexierspiel der Voyeure, die Dialektik der Neckermannkinetik, der Tourist als Trophäe, gejagt, von der Linse niedergestreckt und auf Hochglanzpapier gebannt, ist nicht bar einer gewissen Ironie. Auch wenn ich mir appetitlichere Sujets vorstellen kann. Fremdes zu stehlen, ob mit Gewehr oder Kamera, es sich ebenso selbstverständlich wie fraglos anzueignen, und sei es als Abbild, es zu entzaubern und zu versachlichen war bis dato das Privileg der Kolonisatoren. Nun schlagen die Kolonisierten zurück. Zwar hat ihr Bilderkult noch eher den Charakter einer Schmetterlingssammlung. Doch wenn sie konsequent weiterknipsen, verwandelt sich das Glitzerimage vor ihren Augen früher oder später. Vielleicht sogar in eine historisch überlebte Zombie-Parade. Das wäre tröstlich. Außerdem bekäme es Bali gewiß ganz gut. Christoph Ernst

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