: Musterschüler mit Starallüren
■ Javon Jackson verwandelte sich am Sonntag abend im KITO vom streberhaften Mustersaxophonisten zum frechen Jazz-Wilden
Junge Jazzmusiker, die sich gerade mit ihren ersten eigenen Formationen einen Namen machen, werden auf Tour durch renommierte Clubs in Europa geschickt, und landen so neben Kopenhagen, Wien,Paris und Zürich auch im KITO in Vegesack. Dies ist das Konzept der Konzertreihe „rising stars“, die im letzten Jahr so erfolgreich anlief, daß sie 1997 mit je einem Auftritt pro Monat weitergeführt wird.
Eine der Überraschungen der vergangenen Auftritte war es, wie erzkonservativ die meisten Jungstars spielten. Sie waren zum großen Teil noch gar nicht geboren, als die von ihnen nachempfundenen Stile und Spielformen entwickelt wurden, und versuchen sie deshalb so klassisch und puristisch wie möglich zu präsentieren.
Nach den ersten beiden Stücken schien sich am Sonntag abend auch der Tenorsaxophonist Javon Jackson als solch ein streberhafter Musterschüler zu entpuppen. Nach einem typischem Aufwärmstück in rasendschneller, hochkomplizierter Hardbop-Manier ging er über zur Ballade „Body and Soul“ – beides gehört zum Pflichtprogramm der neuen Unwilden, und die Interpretation war so makellos und kultiviert wie der Maßanzug des Bandleaders. Jackson spielte nicht umsonst von 1986 bis 1990 in Art Blakeys Talentschmiede „Jazz Messengers“ und hat einen klassisch schönen Ton, der zwischen Sonny Rollins und Joe Henderson angesiedelt ist. Sein Gitarrist Farred Haque tat zum Beginn des Konzerts sein Bestes, um wie der Altmeister Jim Hall zu klingen, und Bassist Michael Bowie sowie der Schlagzeuger mit dem passenden Namen Billy Drummond begleiteten mit grundsoliden Bop-Rhythmen.
Aber zum dritten Stück holte Fareed Haque plötzlich ein merkwürdiges Instrument hervor, das wie eine Kreuzung aus Gitarre und Harfe aussieht und wie eine kratzig gestimmte Sitar klingt. Jackson spielte sich mit seiner eigenen Komposition „Assessment“ frei: Nun klang er plötzlich so wild, abenteuerlich und beseelt, daß man tatsächlich begann, einen aufsteigenden Jazzstar in ihm zu sehen. Er überblies sein Tenorsaxophon, schrie darauf und spielte sehr nah am Free-Jazz. Bei Blakey hätte es dafür sicher Straflektionen gegeben.
Das nächste Stück war dann ein Bossa Nova, komplett mit einer Introduktion auf der akustischen Gitarre a la Baden Powell. Aber auch wenn es dabei wieder gesitteter zuging, war der Eindruck vom braven Primus endgültig fortgewischt.
Jackson krempelte nicht gerade die Jackettärmel auf, und avantgardistisch wurde es ganz bestimmt nicht an diesem Abend, aber die Band überzeugte mit jedem Song mehr mit ihrer vitalen Energie und Spielfreude. Fareed Haque stahl seinem Chef beinahe die Show, denn obwohl sich Jackson bei jedem Song die längsten Soloparts sicherte, waren es oft die verschiedenen, mit einer erstaunlichen Vielseitigkeit gespielten Gitarren, die den Sound der Band so originell und variabel klingen ließen.
Auch an der Auswahl der gespielten Stücke wurde immer deutlicher, daß die Band die schwarze Klassik souverän hinter sich gelassen hatte. So gab es zwar noch einen zweiten, sehr gefälligen brasilianischen Song, allerdings von dem zeitgenössischen Sänger Caetano Veloso, und schließlich tobten sich die vier Musiker bei einer Komposition von Frank Zappa in langen, möglichst schrägen Soli aus.
Jackson hatte das Konzert dramaturgisch so geschickt aufgebaut, daß es seine eigene Entwicklung spiegelte: von Blakey zu Zappa, vom gelehrigen Schüler zum postmodern die Stile mischenden Bandleader. Wilfried Hippen
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