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■ NachschlagModerne mongolische Literatur in der sibirisch kalten „arena“

Seit die Mongolen 1241 vor Liegnitz in Schlesien gestanden haben, hat sich, so möchte man meinen, in Deutschland kaum jemand wieder ernsthaft für die Mongolei interessiert. Den Gegenbeweis trat am Sonntag abend das Projekt „Nova Data“ an, das mit einer Lesung moderner mongolischer Literatur und der Vorführung des Films „Urga“ den Startschuß für die Reihe „Ostwind“ gab.

Die Schauspielerin Gudrun Bär las kurze Prosaskizzen von Galsan Tschinag, einem mongolischen Autor und Germanisten, der seit 1962 in Leipzig wohnt. Tschinag, der einer Familie tuwinischer Viehzüchter entstammt, beschreibt den Erlebnisraum seiner Kindheit, das karge Leben der wandernden Hirten. Die Landschaft ist in seinen Erzählungen mehr als nur Kulisse, in ihr spiegeln sich zugleich die Empfindungen des Kindes und der Lebensrhythmus seiner Familie wider. Mit einer Birke wird der Fluchtpunkt des eigenen Lebenslaufs beschrieben, mangelnde Sprachkenntnisse geraten dem Vater zum Verhängnis. Auch der französisch-russische Film „Urga“ von 1991 nimmt diesen Duktus auf: Er handelt von der Freundschaft zwischen einem Russen und einer Schafzüchterfamilie. Das Land zwingt der Erzählung eine andere Geschwindigkeit auf – die Handlung ist karg, und doch schwelgt der Film in epischer Breite.

Bei der sibirischen Kälte dieser Tage hatten sich gerade einmal fünf Besucher ins oberste Stockwerk des Treptower Industriegebäudes verirrt. Die „Ostwind“-Veranstalter haben dort ihren Raum mit ausgedienten Kinosesseln aus Babelsberg hergerichtet. Das Ganze ist ein No-budget-Unternehmen, das sich vor allem dem Gründergeist der Projektbeteiligten verdankt. Später soll hier Theater gespielt werden, vorerst stehen noch weitere Lesungen und Filme zu russischer und afrikanischer Kultur auf dem Plan. Wie es allerdings den Wirt von Heiner Müllers Kreuzberger Lieblingskneipe nach Treptow verschlagen hat, mit welchen Mühen Technik und Mobiliar beschafft wurden, das wäre eine Geschichte, die sich nicht einmal mit mongolischer Langatmigkeit erzählen ließe. Peter Walther

Weitere Lesungen: 12. und 13. 1., 20 Uhr, Eichenstraße 4, Treptow

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