■ Vorschlag: Trauerarbeit: Das Arsenal stellt Filme ungarischer Regisseure vor
Als „Jahrhundert der Flüchtlinge, der Hungernden und Heimatlosen“ bezeichnet das Regietrio Gyöngyössy, Kabay und Petényi das 20. Jahrhundert – und meint damit insbesondere die Zeit des Stalinismus. Imre Gyöngyössy – selbst in den 50er Jahren über mehrere Jahre inhaftiert – gilt als prägender Kopf der Gruppe. Gut zehn Jahre später wird der mittlerweile diplomierte Regisseur und Drehbuchautor zum Mitbegründer der „Béla Balász Studios“, die sich programmatisch dem „Cinema Verité“ verschreiben.
Diese Mischung aus dokumentarisch umgesetztem Realismus und persönlicher Betroffenheit ist das fast durchgängige Motiv der Filme: allgemeinmenschliche, identifikatorische Verbundenheit mit den Opfern von Genozid und Verfolgung bis in die Gegenwart im schlichten Gewand des Doku-Dramas. Selten stehen historische Ursachen im Mittelpunkt. Dabei geht das Regieteam – seit den siebziger Jahren sind Barna Kabay und, etwas später, Gyöngyössys Ehefrau Katalin Petényi seine Koautoren bzw. -regisseure – von der individuellen Erinnerung und traumatischen Erfahrung Überlebender aus. So wird die Bäuerin Mathilde in „Heimatlos“ (1991) zur Laiendarstellerin ihres eigenen Schicksals: Mit ihrer Schwester, einigen Freunden und Bekannten ist sie Statistin für einen Begleitfilm, der die Suche nach Mathildes Sohn, den sie 1953 im Lager verloren hat, genauso schildert wie die Alltäglichkeiten bäuerlichen Lebens.
Mathilde gehörte zu den Wolgadeutschen der ehemaligen Sowjetunion, die ab 1941 systematisch in kasachische und sibirische Verbannung deportiert wurden. Sie ist zu alt und nicht willens, sich in die Bundesrepublik aussiedeln zu lassen. Das Filmteam folgt ihren Bemühungen, erstmals ihre Bürgerinnenrechte wahrzunehmen.
„Freiheit der Toten“ (1992) widmet sich einem ähnlichen Thema: Gene wurde als Kind mit ihren Eltern ins sibirische Irkutsk verbannt. Nach 40 Jahren sollen nun nicht nur ihr Sohn und ihr Bruder, sondern – als posthume Rehabilitation – auch die Gebeine der in Verbannung Gestorbenen in Litauen begraben werden. Zermürbende Amtsgänge und Auseinandersetzungen mit der russischen Bürokratie stehen neben Aufnahmen der baltischen Gegenwart kurz nach den Zwischenfällen 1991 an der russischen Grenze. Diese Ereignisse bewogen die Filmemacher auch, Vilnius kurz vor dem Einmarsch der sowjetischen Truppen zu verlassen. Gudrun Holz
Bis 13. 1. im Arsenal, Welserstraße 24
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