: Out of München
Vom Heustadel zum Medienstandort: Warum ausgerechnet in Unterföhring Leo Kirch und der Bayerische Rundfunk Nachbarn sind ■ Von Christa Blasius
Das Zentrum der größten deutschen Ansammlung von Medienunternehmen ist die Imbißbude am S-Bahnhof Unterföhring. Mittendrin in diesem aus der bayerischen Einöde gestampften TV-Eldorado, dessen Großgrundbesitzer Leo Kirch und dessen Sunset Boulevard „Medienallee“ heißt – vor nicht allzu langer Zeit noch „Bahnhofstraße“ genannt.
Das zur Medienstadt mutierte Dorf an der Isar trotzte 1971 der geplanten Eingemeindung durch die Landeshauptstadt München, profitierte fortan vom günstigen Gewerbesteuersatz und wurde so zu einer der steuerkräftigsten im ganzen Landkreis.
Studios in intakten Feuchtgebieten
Ein Rathaus, eine Kreissparkasse und „Werners Surfladen“, an dessen Tür ein Plakat der Laienspielgruppe klebt, die heuer den Schwank „Mit der Flinte ins Bett“ gibt. Und mitten in den Isarauen die Münchner Fernsehstudios des Bayerischen Rundfunks, wohl die einzigen Europas, die in einem intakten Feuchtgebiet liegen.
Nicht weit davon erstreckt sich das ehemalige Gut des Oberzehetmayrs, der für die Freisinger Bischöfe den Zehnten von den Bauern eintrieb. Heute beherbergt das denkmalgeschützte Anwesen die Firmensitze von Unternehmen, die sich der Softwareentwicklung, dem Technologietransfer und der Marktforschung verschrieben haben. Filmgesellschaften, PC-Support, Multimedia-Service, PR- Agenturen sitzen mittlerweile in jedem zweiten Unterföhringer Schuppen. Am Ortsausgang grüßen zum Abschied die Sender Eurosport und Antenne Bayern.
Die nördlich von München siedelnden Medienunternehmen pflegen die Standards deutscher Gewerbearchitektur: Pro 7 versteckt sich hinter Überwachungskameras und Tannenbäumen in einem voluminösen, aber diskreten Plattenbau der späten 80er. Keine Experimente auch bei DSF, DF 1 und Kabel 1 – allesamt ausgemendelte Kirch-Abkömmlinge. An ihren taubenblauen Fassaden stecken dezente Firmenlogos, auf den Dächern thronen mächtige Parabolantennen. Lediglich aus dem Oberlicht des Bayerischen Rundfunks schaut eine Deko-Nofretete sinnierend über die Niederungen der Medienlandschaft. Keine Rundfunkpaläste weit und breit, nur Fabriken für Film- und Programmkonserven.
Einzig der Art-director im Straßennamenressort war auch nach außen kreativ: Die Gutenbergstraße und die Medienallee zeugen von deutschem Innovationsdrang, eine Straße weiter gedenkt man Rudolf Diesel – dem Urvater des deutschen Gewerbegebietes. Mit der Rivastraße hat man nicht etwa der einzigen Tochter von Marlene Dietrich voreilig ein Denkmal gesetzt. Die RIVA Lichttechnischen Betriebe haben in den fünfziger Jahren den Grundstein zum Medienstandort gelegt. Die Studios wurden 1962 von BR und ZDF übernommen. Der siebenstöckige Kubus aus dem geduldigen Beton der 70er Jahre an der „ZDF- Straße“ wurde so zum Geburtsort von Klassikern wie „Aktenzeichen XY ungelöst“, „Ehen vor Gericht“ und „Pleiten, Pech und Pannen“. In der „Beta-Straße“ gleich gegenüber fand die Kirch-Gruppe eine Heimstatt.
Globale Geschäfte im digitalen Bayerndorf
Standortfaktoren wie großflächige Baugrundstücke, gute Anbindung an die Münchner City und den Flughafen, Nähe der Zulieferbetriebe, niedrige Gewerbesteuern und die humanen Ressourcen der in der nahen Landeshauptstadt herumlungernden Kreativen ziehen die Medienbranche nach Unterföhring. Im digitalisierten Bayerndorf kann man ungestört globale Geschäfte machen. Eine Adresse in Unterföhring ist fast so gut wie eine kalifornische. Die nicht vorhandene Magie des Ortes bringen die Öffentlichkeitsarbeiter der Medienunternehmen auf die einmütige Feststellung: „Wir sind in Unterföhring, weil schon alle da sind.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen