: Ratte hat Zukunft
Ein neues Haustier erobert Wohnzimmer: Ratten erfreuen sich großer Beliebtheit ■ Von Manuela Keil
Der Ingenieur Manfred Richter (34) hatte ein ungewöhnliches Anliegen, als er seinen Chef um einen Tag Sonderurlaub bat: Er mußte mit seiner Ratte zum Tierarzt, das Tier sollte kastriert werden. Manfred Richter ist keine Ausnahme. Immer mehr Menschen halten sich eine Ratte als Haustier.
„Das Geschäft boomt“, sagt Michael Barenscheer vom Heindl- Tiergarten in Hamburg-Billstedt. Besonders junge Leute und Hausfrauen seien die Abnehmer. „Ältere Menschen dagegen haben durch ihre Erfahrungen im Krieg starke Vorbehalte.“ Barenscheer verkauft fünf bis zehn Ratten pro Woche – zum Preis von je 15 Mark. Sie alle stammen letztendlich von Wanderratten ab, die vor rund 100 Jahren für Laborversuche domestiziert wurden.
„Ratten haben Zukunft“, bestätigt auch Holger Dabelstein aus Altona. Der Tierhändler verkauft rund 20 der Nager pro Monat. Längst seien Ratten nicht mehr nur ein schockierendes Anhängsel von Punkern. Die meisten Käufer seien zwar um die 20, aber auch 40jährige kaufen sich schon mal eine Ratte. Denn die, so weiß Dabelstein, seien „äußerst intelligente und niedliche Tiere. Anders als Hamster sind Ratten außerdem sehr personenbezogen.“
„Wir wollen Vorurteile abbauen. Ratten sollen als normale Haustiere akzeptiert werden“, meint auch Simone Grigat. Sie ist Leiterin der Hamburger Regionalgruppe des Vereins der Rattenliebhaber und –züchter. Der seit drei Jahren bestehende Verein mit Hauptsitz in Frankfurt zählt bundesweit über 500 Mitglieder im Alter zwischen sieben und 70. „Es gibt kaum gute Literatur über artgerechte Haltung“, sagt Grigat. Ihre Rattenliebhaber werden deshalb durch die zweimonatige Vereinszeitschrift „Rattgeber“ über neueste Erkenntnisse informiert.
Ratten, so weiß Grigat, lösen bei den meisten Menschen noch immer Ekelgefühle aus. Hartnäckig halten sich Vorbehalte gegen die in der Natur sehr scheuen und stillen Nager.
„Ratten sind soziale Tiere. Sie sollten nicht einzeln, sondern in Gruppen von mindestens vier Tieren gehalten werden“, rät Rattenliebhaberin Grigat deshalb. „Sie haben einen großen Spieltrieb, klettern gern, brauchen viel Beschäftigung und Auslauf.“
Halter, die ihr Tier den ganzen Tag auf der Schulter durch die Stadt tragen, befriedigen den Spieltrieb der Ratte jedoch nur schlecht und schaden ihr eher. Denn die Nager seien in einem drei- bis vierstündigen Rhythmus aktiv, dazwischen brauchen die zahmen Tiere ihre Ruhe.
Wer nun auf die Ratte kommen will, sollte jedoch eines bedenken: Die Lebenserwartung der Nagetiere liegt nur bei zwei bis drei Jahren.
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