: "Druck ausüben ist eine heikle Sache"
■ Helmut Lippelt, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen, über die Forderungen der Belgrader Opposition, den Handlungsspielraum von Präsident Slobodan Milosevic und den serbisch-nationalistisc
taz: Oppositionsführer Zoran Djindjić hat gestern gefordert, der Westen solle mehr Druck auf Serbiens Präsident Milošević ausüben. Werden Sie das tun?
Helmut Lippelt: Druck ausüben ist eine heikle Sache. Ich wäre da sehr zurückhaltend. Wenn man wie die SPD fordert, die Führer der Opposition für einen Tag nach Bonn einzuladen, dann sind sie ja nicht vor Ort, auf der Demonstration. Eine naßforsche Sprache unsererseits ist überhaupt nicht angebracht. Mir ist auch ein kleiner Schauer über den Rücken gelaufen, als ich neben anderen Fahnen auf dem Platz der Republik in Belgrad die deutsche gesehen habe. Natürlich hat Mirja Marković [Frau von Milošević, d. Red.] das sofort aufgegriffen, also Rückgriff auf den Mythos vom bösen Deutschland. Auch wenn diese Mythen nicht mehr ziehen, ist es nicht gut, eine deutsche Fahne aufziehen zu lassen.
Die USA haben gedroht, das Land zu isolieren oder Sanktionen in Kraft zu setzen, wenn Milošević die Wahlen nicht anerkennt. Was halten Sie davon?
Also das erste, was man sagen muß, ist, daß die Ergebnisse der Wahlen vom 17. November anerkannt werden müssen. Dann muß an einem Runden Tisch weiterdiskutiert werden. Sanktionen aber treffen nicht das Regime und auch nicht das Militär, sondern die Leute auf der Straße. Und das wird natürlich vom Regime so gedreht, daß man sagt: „Da seht einmal, das ist der Westen, auf den Ihr setzt.“ Alles das befördert den serbisch- nationalistischen Mythos, der da sagt, in der Stunde der Not stehen die Serben immer alleine und können sich nur auf ihre eigenen Kräfte verlassen. Ich halte viel mehr davon, Parlamentarier zur Reise nach Belgrad zu bewegen. Jeden Tag müssen zehn europäische Parlamentarier vor Ort sein.
Halten Sie das für notwendig, um eine mögliche gewaltsame Lösung des Konflikts zu verhindern?
Also ich weiß nicht, ob man das verhindern kann. Das ist eine fürchterlich zähe Hängepartie. Mir fällt auf, daß wir die falschen Vergleichsmaßstäbe haben. Mein erster Eindruck war der Vergleich zum Oktober/November 1989 in Ostberlin. Das ist aber falsch. Das, was den Leuten drüben vor Augen steht, ist der Dezember 1989 in Rumänien. Und daß heißt, Milošević muß permanent an das Ende Ceaușescus denken. Das Problem ist, daß Milošević wirklich keinen Ausweg weiß. Und andererseits seine Machtstellung erodiert. Die Aussichten Milošević', Präsident Jugoslawiens zu werden, schwinden, sie sind praktisch schon weg. Was macht so ein Mann, wenn er mit dem Rücken an der Wand steht? Das ist die große Gefahr.
Die Opposition fordert ja schon den Sturz des Präsidenten. Können Sie sich dem anschließen?
Ich glaube, im Westen kann man nicht die Forderung aufstellen, Milošević solle abtreten. Das wäre ja eine Aufforderung an Milošević, seine 80.000 Polizisten einzusetzen. Das geht nicht. Zudem glaube ich, daß die Möglichkeiten, die Milošević noch hat, von vorübergehenden westlichen Besuchern unterschätzt werden.
Was kann man denn tun?
Man muß in seinen Positionen hart bleiben. Man darf nicht verhandeln, wie dies der italienische Außenminister Dini gemacht hat. Der Besuch von Schwarz-Schilling und mir bei Milošević Mitte Dezember hat kein Aufsehen erregt, weil wir nicht ausnutzbar waren. Wir haben zu ihm gesagt, Sie müssen die Wahlen anerkennen. Die einzige Möglichkeit, die Sie jetzt haben, ist eine internatioale Überprüfung. Milošević hat uns gesagt, daß dies vielleicht ein guter Gedanke sei. Ohne daß wir beanspruchen, dies beeinflußt zu haben, ist es dann ja auch geschehen. Aber das lag primär am Machtgefüge.
Wie oft haben Sie an den Demonstrationen von Zajedno teilgenommen?
Ich bin das erste Mal mit Schwarz-Schilling am 14. Dezember dagewesen. Und ich hatte gleich den Eindruck, daß mehr Parlamentarier dahin müssen. Am 21. bin ich dann wieder dagewesen. Und nun müßte ich eigentlich wieder los.
Haben Sie in Belgrad auch auf der Trillerpfeife gepfiffen?
Ich habe genügend Trillerpfeifen mitgebracht. Und ich verteile sie jetzt in der Fraktion als Souvenir.Interview: Georg Baltissen
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