: Singen auf silbernen Stühlen
■ Siebzig SängerInnen erkunden deutsche und polnische Chorliteratur / Liedgut um Friede, Freundschaft und Religion
Der Dirigent Rochus Salanczyk wird laut. Er sagt: „Der Stuhl kann golden, silbern oder barock sein – aber ein Klappstuhl muß es sein. Sonst könnt ihr ihn ja nicht ins Auto packen!“
Wie unartige Kinder beschwört er seine Chormitglieder. Doch böse meint er es keineswegs. Und außerdem sind die EmpfängerInnen seiner Ratschläge durchaus ausgewachsen: Zwischen 18 und 60 Jahren liegt das Alter der Frauen und Männer, die sich im deutsch-polnischen Chor zu Bremen zusammengefunden und der binationalen Musik verschrieben haben.
„Zasnij juz“ oder „Schlaf schön“ heißt zum Beispiel eines der alten polnischen Weihnachtslieder, das die SängerInnen bei ihren Auftritten im Dezember zum besten gegeben haben. Und doch ist der Chor keineswegs bloß auf volkstümliche Musik festgelegt: „Wir singen zu jeder Gelegenheit das, was ansteht.“ Rochus Salanczyk, der aus Breslau stammt und beide Sprachen spricht, sieht diese Dinge ganz gelassen. Von Bach und Mozart bis zu Schumann-Liedern, von der Mazurka bis zum deutschen Volkslied reicht das Repertoire des Chors. Gesungen wird grundsätzlich in zwei Sprachen, und manchmal arrangiert Salanzcyk auch polnische Texte zu deutschen Liedern und umgekehrt. Friede, Freundschaft und Religion, darum geht es in den Liedern. Doch ein Dogma sei das nicht, so Salanczyk: „Auch ein Trinklied von Chopin kann mal dabeisein.“
Das Durchschnittsalter der ChoristInnen liegt etwa bei 50 Jahren. Nur Menschen aus den ehemals deutschen Ostgebieten Polens? „Nein“, sagt Salanczyk. Einige stammten zwar aus Schlesien und Pommern oder sind später als AussiedlerInnen nach Deutschland gekommen. Doch viele sind nach Angaben des studierten Theologen und Musikers aus reinem Interesse an den Liedern oder an der Atmosphäre eingetreten.
„Ich bin 1945 als 17jährige aus Ostpreußen gekommen und habe guten Kontakt zu den Menschen, die jetzt dort wohnen. Ich weiß, daß sie genauso vertrieben wurden wie wir“, sagt Ursula Goerke. „Mir gefiel von Anfang an die freundschaftliche Atmosphäre im Chor“; erzählt die Bremerin Ingrid Stickan. „Hier wird das Leben nicht so ernst genommen.“ Eine besondere Beziehung zu Polen hatte sie ursprünglich genauso wenig wie Anne Regina Rottke, die inzwischen eine „eine tiefe Freundschaft“ mit der Vorsitzenden des Danziger Chores verbindet.
Genau das paßt Chorleiter Salanczyk ins Konzept. Vorurteile wolle er abbauen mit dem 1982 mit Unterstützung der Deutsch-polnischen Gesellschaft und dem Bildungssenator gegründeten Chor – und Berührungsängste nehmen. „Ich habe während des Krieges den Haß zwischen Deutschen und Polen in Schlesien erlebt. Und ich glaube, die Musik ist ein Mittel, dafür zu sorgen, daß das nicht wieder passiert.“
80 Konzerte haben die SängerInnen bisher gegeben, in Bremen und in Polen. Mit dem deutsch-polnischen Chor Berlin und einem Chor aus Danzig arbeiten die Bremer zusammen; in diesem Jahr ist eine Chorreise zur 1000-Jahr-Feier Danzigs geplant. P.S.
Kontakt: Deutsch-polnische Gesellschaft,
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