piwik no script img

Nur Schnee auf Grundigs Bildschirm

Philips zieht sich bei dem TV- und Radio-Produzenten aus der Verantwortung. Das Ende des Traditionsunternehmens scheint nahe. Noch verdienen dort 8.500 Leute ihr Geld  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) – „Philips ist wie ein Kind, das sein Spielzeug kaputtgemacht hat und dann in die Ecke wirft“, sagt Dieter Appelt, Betriebsratsvorsitzender bei Grundig. Der niederländische Elektronikkonzern kündigte gestern an, sich bei Grundig auf die Rolle des passiven Minderheitsaktionärs zu beschränken. Der Betrieb werde wieder „völlig unabhängig“. Selbst einen vollständigen Rückzug schloß ein Philips-Sprecher gestern nicht mehr aus. Im Klartext: Das deutsche Unternehmen muß für die Folgen seiner Geschäftspolitik und die massiven Verluste selbst einstehen.

Seit 1984 hält Philips etwa ein Drittel der Grundig-Aktien. Als Gegenleistung für 52 Millionen Mark im Jahr für die Grundig-Familie bis zum Jahr 2004 – egal, wie die Geschäfte laufen – bekam Philips Verantwortung und Sagen in dem Fürther Konzern. Doch in den letzten sechs Jahren schrieb das Unternehmen nur rote Zahlen. 1995 schloß der Betrieb mit einem Rekordminus von 600 Millionen Mark ab. Da war die Geduld der Herren in der Eindhovener Chefetage zu Ende, und sie kündigten den Beherrschungsvertrag, der die Übernahme der Verluste einschloß. Insgesamt habe Philips 1,5 Milliarden Mark zugebuttert, vermuten Branchenkenner.

Zwar räumt Grundig-Pressesprecher Roland Stehle ein, daß auch 1996 „auf keinen Fall ein schwarzes Ergebnis erwirtschaftet wurde“. Im Dezember war ein Nettoverlust von 250 Millionen Mark prognostiziert worden. Stehle versucht dennoch, Optimismus zu verbreiten: „Grundig öffnet sich neuen Partnern.“ Warum allerdings jemand Interesse an dem defizitären Fernsehproduzenten haben sollte, bleibt unklar. Und tatsächlich räumte die Pressestelle gestern ein, daß noch niemand in Sicht sei.

Vom großen Unbekannten aber soll abhängen, wie viele Jobs es künftig bei Grundig geben wird. Zum Jahresende standen 8.500 Leute auf der Lohnliste, vor einem Jahr waren es noch 11.500 gewesen, und in Hochzeiten verdienten 37.000 Menschen ihr Brot bei dem Wirtschaftswunderkonzern. Der Großteil der Arbeitsplätze ging in Deutschland verloren. Bedeutende Unternehmensteile wurden und werden nach Österreich und Ungarn verlagert.

„Normale TV-Geräte, in denen noch immer relativ viel Handarbeit steckt, lassen sich in Deutschland nicht mehr günstig herstellen“, sagte der seit Februar 1996 amtierende Grundig-Chef Pieter van der Wal kurz nach seiner Bestellung.

Obwohl der Fernsehermarkt seit Jahren stagniert, hat van der Wal das Motto ausgegeben: Konzentration auf das Kerngeschäft. Doch der deutsche Markt ist zu 97 Prozent gesättigt, und in der Hälfte aller Haushalte stehen sogar zwei Glotzkisten. So werden hierzulande im Jahr nur etwa 5,5 Millionen TV-Geräte verkauft – bei fallenden Preisen hat das zu massiven Gewinneinbrüchen in der Branche geführt. Hinzu kam, daß der neue Philips-Präsident Cor Boonstra Grundig auf den deutschen Markt beschränken wollte, um bessere Chancen für den Mutterkonzern zu schaffen.

„Ich vermute, die wollen Grundig ganz kippen“, meinte Appelt gestern zornig. Auf seine Frage, wer denn nun das Management stellen werde, habe er keine Antwort bekommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen