Von der Streikfront in den Knast

Die südkoreanische Regierung geht mit harter Staatsgewalt gegen die Arbeiterbewegung vor. Für beide Seiten geht es ums Ganze  ■ Von Georg Blume

Wie jeden Morgen seit Beginn der größten organisierten Streikwelle in der südkoreanischen Geschichte streckte der Arbeiterführer Bae Bun Sik gestern auf den vereisten Pflastersteinen vor der Myongdong-Kathedrale in Seoul seine Hände gen Himmel. Er tat es weder, um Gott, noch um die Zigtausende von Streikenden im ganzen Land anzurufen. Bae Bun Sik machte nur seine täglichen Morgenübungen.

Den sportlichen Vergnügungen eines ihrer derzeit gewichtigsten Gegner droht die südkoreanische Regierung nun ein Ende zu setzen. Gestern beantragte die Seouler Staatsanwaltschaft – offenkundig auf Regierungsbefehl – die Festnahme Baes und sechs weiterer Streikführer des gesetzlich nicht anerkannten Gewerkschaftsdachverbandes KCTU (Korean Confederation of Trade Unions). Seit Tagen haben die Spitzen der KCTU ihre Streikzentrale behelfsmäßig in einem Zelt vor den schweren Mauern des römisch- katholischen Himmelsbaus in der Mitte Seouls errichtet. Es sind Männer in ihren Vierzigern und Fünfzigern, geprüft vom jahrelangen Kampf gegen die Diktatur, der unter Führung von Gewerkschaften und Studenten 1987 in den Sieg der Demokratie mündete. Doch es sind keine Radikalen mehr.

„Wenn der Streik der Wirtschaft wirklich ernsthaft schadet, dann muß der Präsident mit uns reden“, sagt Kwan Young Kil, Vorsitzender des KCTU und ein Zeltgenosse Baes, den die Staatsanwaltschaft ebenfalls verhaften lassen will. Kwon, 55, der jetzt mit seinem roten Parolen-Stirnband als kämpferischer Streikeinheizer über westliche Bildschirme flimmert, ist in Wirklichkeit ein leise auftretender, um ständigen Dialog bemühter Typ. Mit den mit Eisenknüppeln und Helm bestückten Demonstranten, die sich gestern wenige Schritte von der Myongdong-Kathedrale entfernt mit Polizisten prügelten, will Kwon nichts mehr zu tun haben.

1987 kämpfte man noch zusammen. Doch diese Zeiten sind vorbei. Seit Jahren grenzt sich der KCTU von den radikalen Studentenbewegungen an den Seouler Universitäten ab, die in der Vergangenheit gleichwohl als einzige lautstark eine Abschaffung der Gesetze forderten, die Kwon und seine Leute schon heute wieder ins Gefängnis bringen können.

Die Lage ist verflixt: Am vierten Streiktag nach der Neujahrspause ist die Regierung in Seoul noch keinen Schritt zurückgewichen. Trotz der zahlreichen Ausstände, an denen gestern nach Gewerkschaftsangaben 200.000 und nach Regierungsangaben 70.000 Arbeiter teilnahmen, hat Präsident Kim Young Sam eine Rücknahme der am 26. Dezember verabschiedeten und von den Streikenden seither bekämpften Arbeitsgesetze kategorisch ausgeschlossen.

Für beide Seiten geht es um alles oder nichts: Die Abschaffung des lebenslänglichen Kündigungsverbots, die das neue Gesetz bewirkt, ist ein Todesurteil für die Gewerkschaften, denn ihre Stärke und Streikfähigkeit beruht auf der Sicherheit der Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz nicht verlieren können. Da paßt es ins Bild, wenn das neue Gesetz in Zukunft den Einsatz von Streikbrechern und Teilzeitbeschäftigung erlaubt.

Gleichwohl kündigt die Regierung in Seoul den Sozialkonsens nicht ganz ungezwungen auf. Die Börse hat ein Vierjahrestief erreicht, das Leistungsbilanzdefizit ist 1996 auf 36 Milliarden Mark gesunken, während die Löhne seit 1991 um jahresdurchschnittlich 15 Prozent stiegen. Das offiziell prognostizierte Wachstum von 6,4 Prozent für 1997 scheint schon heute unerreichbar. Am Ende des Jahres aber stehen Präsidentschaftswahlen.

Unklar bleibt bis heute, auf welcher Seite die breite Masse der Bevölkerung steht. In den letzten Tagen boten streikende Automobilarbeiter kostenlose Reparaturen auf den Straßen an, um die Sympathien des Volkes zu gewinnen. Im Gegenzug rechnet die Regierung die Streikkosten für die Wirtschaft auf mehrere Milliarden Mark hoch.

Wenn jetzt die Wortführer der Bewegung hinter Gitter wandern, könnte das dem Protest bereits den Rücken brechen. Vor allem würde das Verschwinden der KCTU-Führung dem unter der Diktatur aufgebauten, regierungsnahen Gewerkschaftsdachverband FKTU (Federation of Korean Trade Unions) wieder die Oberhand über die Streikbewegung verschaffen. Der FKTU aber hat kein Interesse an der gesetzlichen Anerkennung des Konkurrenzverbandes, die von den neuen Arbeitsgesetzen auf das Jahr 2002 verschoben wurde und ein Anstoß der Proteste bildet.

„Ich mache mir keine Sorgen, weil ich weiß, daß es ohnehin passiert“, sagt Gewerkschaftsboß Kwon über seine bevorstehende Verhaftung. Schon im Mai 1996 saß Kwon wegen einer einzigen Streikrede in der U-Bahn für fünf Monate ein. Immerhin: Den Morgensport kann sein Kollege Bae auch im Knast fortsetzen, er gehört dort zum Sträflingsprogramm.