: Arbeit weg, Aufschwung da
■ Wirtschaftswunder naht trotz 4,15 Millionen Arbeitslosen. Kohl spricht von „solidem Fundament“
Berlin/Bonn (dpa/rtr/AFP/taz) – In ganz Deutschland vermeldeten gestern Politiker, Vertreter der Wirtschaft und Gewerkschaften das Ende der Krise. Zwar gab Bernhard Jagoda, der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, zunächst in Nürnberg den Höchststand der registrierten Arbeitslosenzahlen mit 4,148 Millionen bekannt. Und das Bruttoinlandprodukt sank im vergangenen Jahr auf 1,4 Prozent, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte. Deprimieren ließ sich davon aber niemand.
Zuversichtlich blickte in Bonn Helmut Kohl in die Kameras. Der Kanzler betonte, daß es „positive Tendenzen für Deutschland im internationalen Wettbewerb“ gebe. Die Chancen für einen Aufschwung stünden „auf einem soliden Fundament“. Trotz der Zweifler in den eigenen Reihen halte er daran fest, die Arbeitslosigkeit bis 2000 zu halbieren. „Natürlich ist das ein ehrgeiziges Ziel“, sagte Kohl. Dennoch gebe es „keinen Grund zum Pessimismus“. Der Kanzler leitete sein Konzept für den Aufschwung mit den Worten ein: „Es muß ein zentrales Anliegen der Politik bleiben, hier etwas zu tun.“ Im einzelnen denkt der Kanzler daran, die jährlich 1,8 Millionen Überstunden abzubauen. „In vielen Betrieben könnten sicherlich mehr Beschäftigte eingestellt werden.“ Vor allen Dingen dann, wenn sie Ausländer entlassen. Es sei ein „absurder Vorgang“, so Kohl, daß es trotz der derzeitigen Arbeitslosenzahlen Bereiche gebe, in denen Stellen nur mit Ausländern besetzt werden könnten.
Ergänzt werden Kohls Vorstellungen vom neuen Handwerkspräsidenten Dieter Philipp. Würde man die Berufsgenossenschaften abschaffen, sagte er in Bonn, so würden die Lohnzusatzkosten im Handwerk drastisch sinken. Die Berufsgenossenschaften versichern alle Arbeitnehmer gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Weil aber die Zahl der Berufskrankheiten wie etwa Allergien bei Bäckern und Frisören „so stark gestiegen ist“, sagte Philipp, müßten die Arbeitgeber zu hohe Beiträge entrichten. „Wir sind nicht bereit, das länger zu akzeptieren.“ Bliebe alles beim alten, würden im Handwerk in diesem Jahr 50.000 Stellen abgebaut. Dennoch frohlockte der Handwerkspräsident: Steuersenkungen könnten dem Land „ein neues Wirtschaftswunder“ bringen.
In Düsseldorf versammelte Dieter Schulte einige Presseleute um sich. Der DGB-Vorsitzende attestierte dem Kanzler, im Prinzip bewege er sich in die richtige Richtung. Zwei Millionen neue Arbeitsplätze bis zum Jahr 2000 seien „keine Utopie“. Wirtschaft und Politik müßten sie schaffen. Als hätte sich Schulte zuvor mit dem Kanzler besprochen: Halbierung der Überstunden, mehr Teilzeit, mehr staatliche Investitionen, moderate Tarife.
Auch Rudolf Scharping ist guten Mutes. Der Fraktionschef der SPD sprach sich in Berlin für eine „große gemeinschaftliche Kraftanstrengung“ zur Überwindung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Deutschland aus. Diese konzertierte Aktion könne Voraussetzung für ein „zweites Wirtschaftswunder“ werden.
Konkrete Vorschläge zur Beschaffung von mindestens 1.000 neuen Arbeitsplätzen für Steuerfahnder machte Dieter Ondracek, Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft. Dann könnten die derzeit laufenden 50.000 Ermittlungsverfahren gegen Hinterzieher, die ihr Geld in Luxemburg anlegen, zügig bearbeitet werden. Finanzminister Theo Waigel brächte diese Investition zehn Milliarden Mark in die Steuerkasse. roga, ufo
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