: Studenten in Belgrad gewinnen „Ausdauertest“ gegen die Miliz
■ Mit Lesungen aus den Werken antiker Klassiker und dem Schwung heißer Tanzrhythmen feierten die Studenten in die Nacht
Belgrad (dpa/taz) – „Blockade gegen die Blockade“ hieß die neueste Aktion der Belgrader Studenten, mit der es ihnen gelang, die Polizeiketten in der Innenstadt friedlich, fröhlich und durch Ausdauer symbolisch zu durchbrechen. Die Aktion begann am Donnerstag nachmittag, und zwölf Stunden später, am frühen Freitag morgen, waren die angehenden Akademiker Sieger des Ausdauertests: „24 Stunden auf der Straße, wir oder sie“ war das Motto, das das Organisationskomitee der Studenten auf Flugblättern ausgegeben hatte. Die Polizei bekam das Kommando zum Rückzug. „Belgrads Straßen sind wieder frei“ und „Spaziergang, Spaziergang“ riefen Tausende Studenten sowie Hauptstadtbewohner und begannen ihren frühmorgendlichen Protestmarsch jubelnd und trillerpfeifend.
Die Aktion hatte mit einem „Bildungsprogramm“ für die Bereitschaftspolizisten begonnen, vor denen sich die Hochschüler aufreihten. Die Beamten mußten sich Passagen aus Werken von Dostojewski und Aristoteles sowie natürlich aus dem Forderungskatalog der Studenten anhören. Einer der Demonstranten sagte: „Als nächstes gehen wir zu Heraklit über. Bei den Polizisten muß man ganz von vorn anfangen.“ Das antike Wissen verfehlte seine Wirkung offensichtlich nicht.
Doch die Studenten warteten nicht nur mit einem „Bildungsprogramm“ auf. Es gab auch ein „Unterhaltungsprogramm“, an dem eine große Trommlergruppe teilnahm, nach deren afro-lateinamerikanischen Rhythmen die Demonstranten vor den behelmten Ordnungshütern tanzten und sangen. „Tut was gegen kalte Füße, tanzt mit“, luden sie vergeblich die Polizisten zur „Party“ ein.
Da die dreifache Polizeikette nicht reagierte, wurden Schachspiele geholt und kurz vor Mitternacht mitten auf der blockierten Straße ein Turnier abgehalten. Vor dem Nationaltheater hatten junge Sicherheitsbeamte zuvor Fußball gespielt. Ein Transparent wurde entrollt: „Ledige Frauen, auf zur Polizeikette!“ hieß es. Studentinnen beschenkten die Beamten mit Obst, Schokolade und Keksen. Die Gaben wurden nicht abgelehnt, auf den zunächst so ernsten Polizistengesichtern blitzte ein Lächeln auf, und einer sagte laut: „Wir würden niemals gegen Studenten losschlagen.“ Ein skeptischer Student meinte jedoch: „Nur so lange, bis der Befehl dazu kommt“, und der Beamte zuckte mit den Achseln.
Am Abend hatten die Studenten so viel „Verstärkung“ bekommen, daß die Polizeiketten selbst blockiert waren. Viele bekannte Künstler, Universitätsprofessoren, aber auch einfache Bürger stellten sich hinter die Polizisten, die nun nicht mehr wußten, in welche Richtung sie noch schauen sollten. Über die nächtliche Kälte sollten warme Getränke, Butterbrote, Kuchen hinweghelfen, die Anwohner brachten. „Ihr seid unsere Kinder, wir werden noch Kuchen für euch backen“, sagte ein Bäcker, der mit seiner Frau frische Gebäckstücke verteilte.
Dann rollte ein Transporter mit Lautsprechern heran. Rockmusik und heiße Rhythmen erfüllten die Innenstadt, und es wurde getanzt. Die Stimmung der Demonstranten war ausgelassen und friedlich, und das hat auch die Beamten etwas entspannt. Ein Polizist winkte klammheimlich einem schönen Mädchen zu, das ihm Blumen gab. „Wir hoffen, daß dies die letzte Polizeikette in Belgrad war“, sagte ein älterer Mann.
Die ausgelassene Feier galt auch einem weiteren Zugeständnis, das Präsident Milošević am Donnerstag gemacht hatte. In der nordserbischen Kleinstadt Vršac hatte die Oppositionsführerin Danijela Djordjević erklärt, daß das Oberste Gericht das örtliche Gericht angewiesen habe, die Annullierung des Oppositionserfolgs zu überprüfen. Nach Lapovo und Niš ist das 80 Kilometer östlich von Belgrad gelegene Vršac damit die dritte Stadt, in der die Behörden den Sieg der Opposition einräumen. Es wird nicht mehr ausgeschlossen, daß Präsident Milošević nach dem serbischen Neujahrsfest die Anerkennung aller Wahlerfolge der Opposition bekanntgeben wird. Dubravko Kolendić
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